Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.vielleicht 50% auf Spenden ungenannt bleibender Geber - Was war nun der Effekt des ganzen Systems? Daß heute Wie findet nun die Auslese dieser Führerschaft statt? Zu- vielleicht 50% auf Spenden ungenannt bleibender Geber – Was war nun der Effekt des ganzen Syſtems? Daß heute Wie findet nun die Ausleſe dieſer Führerſchaft ſtatt? Zu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0039" n="39"/> vielleicht 50% auf Spenden ungenannt bleibender Geber –<lb/> die Peers-Würde.</p><lb/> <p>Was war nun der Effekt des ganzen Syſtems? Daß heute<lb/> die engliſchen Parlamentarier mit Ausnahme der paar Mit-<lb/> glieder des Kabinetts (und einiger Eigenbrödler) normaler-<lb/> weiſe nichts andres als gut diszipliniertes Stimmvieh ſind.<lb/> Bei uns im Reichſtag pflegte man zum mindeſten durch Er-<lb/> ledigung von Privatkorreſpondenz auf dem Schreibtiſch vor<lb/> ſeinem Platz zu markieren, daß man für das Wohl des Landes<lb/> tätig ſei. Derartige Geſten werden in England nicht verlangt;<lb/> das Parlamentsmitglied hat nur zu ſtimmen und nicht Partei-<lb/> verrat zu begehen; es hat zu erſcheinen, wenn die Einpeitſcher<lb/> rufen, zu tun, was je nachdem das Kabinett oder was der <hi rendition="#aq">leader</hi><lb/> der Oppoſition verfügt. Die <hi rendition="#aq">Caucus</hi>-Maſchine draußen im<lb/> Lande vollends iſt, wenn ein ſtarker Führer da iſt, faſt ge-<lb/> ſinnungslos und ganz in den Händen des <hi rendition="#aq">leader</hi>. Über dem<lb/> Parlament ſteht alſo damit der faktiſch plebiszitäre Diktator,<lb/> der die Maſſen vermittelſt der „Maſchine“ hinter ſich bringt,<lb/> und für den die Parlamentarier nur politiſche Pfründner ſind,<lb/> die in ſeiner Gefolgſchaft ſtehen.</p><lb/> <p>Wie findet nun die Ausleſe dieſer Führerſchaft ſtatt? Zu-<lb/> nächſt: nach welcher Fähigkeit? Dafür iſt – nächſt den über-<lb/> all in der Welt entſcheidenden Qualitäten des Willens –<lb/> natürlich die Macht der demagogiſchen Rede vor allem maß-<lb/> gebend. Jhre Art hat ſich geändert von den Zeiten her, wo<lb/> ſie ſich, wie bei Cobden, an den Verſtand wandte, zu Gladſtone,<lb/> der ein Techniker des ſcheinbar nüchternen „die-Tatſachen-<lb/> ſprechen-laſſens“ war, bis zur Gegenwart, wo vielfach<lb/> rein emotional mit Mitteln, wie ſie auch die Heilsarmee ver-<lb/> wendet, gearbeitet wird, um die Maſſen in Bewegung zu<lb/> ſetzen. Den beſtehenden Zuſtand darf man wohl eine „Diktatur,<lb/> beruhend auf der Ausnutzung der Emotionalität der Maſſen“,<lb/> nennen. – Aber das ſehr entwickelte Syſtem der Komitee-<lb/> arbeit im engliſchen Parlament ermöglicht es und zwingt auch<lb/> jeden Politiker, der auf Teilnahme an der Führung reflektiert,<lb/> dort mitzu<hi rendition="#g">arbeiten</hi>. Alle erheblichen Miniſter der letzten<lb/> Jahrzehnte haben dieſe ſehr reale und wirkſame Arbeitsſchulung<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [39/0039]
vielleicht 50% auf Spenden ungenannt bleibender Geber –
die Peers-Würde.
Was war nun der Effekt des ganzen Syſtems? Daß heute
die engliſchen Parlamentarier mit Ausnahme der paar Mit-
glieder des Kabinetts (und einiger Eigenbrödler) normaler-
weiſe nichts andres als gut diszipliniertes Stimmvieh ſind.
Bei uns im Reichſtag pflegte man zum mindeſten durch Er-
ledigung von Privatkorreſpondenz auf dem Schreibtiſch vor
ſeinem Platz zu markieren, daß man für das Wohl des Landes
tätig ſei. Derartige Geſten werden in England nicht verlangt;
das Parlamentsmitglied hat nur zu ſtimmen und nicht Partei-
verrat zu begehen; es hat zu erſcheinen, wenn die Einpeitſcher
rufen, zu tun, was je nachdem das Kabinett oder was der leader
der Oppoſition verfügt. Die Caucus-Maſchine draußen im
Lande vollends iſt, wenn ein ſtarker Führer da iſt, faſt ge-
ſinnungslos und ganz in den Händen des leader. Über dem
Parlament ſteht alſo damit der faktiſch plebiszitäre Diktator,
der die Maſſen vermittelſt der „Maſchine“ hinter ſich bringt,
und für den die Parlamentarier nur politiſche Pfründner ſind,
die in ſeiner Gefolgſchaft ſtehen.
Wie findet nun die Ausleſe dieſer Führerſchaft ſtatt? Zu-
nächſt: nach welcher Fähigkeit? Dafür iſt – nächſt den über-
all in der Welt entſcheidenden Qualitäten des Willens –
natürlich die Macht der demagogiſchen Rede vor allem maß-
gebend. Jhre Art hat ſich geändert von den Zeiten her, wo
ſie ſich, wie bei Cobden, an den Verſtand wandte, zu Gladſtone,
der ein Techniker des ſcheinbar nüchternen „die-Tatſachen-
ſprechen-laſſens“ war, bis zur Gegenwart, wo vielfach
rein emotional mit Mitteln, wie ſie auch die Heilsarmee ver-
wendet, gearbeitet wird, um die Maſſen in Bewegung zu
ſetzen. Den beſtehenden Zuſtand darf man wohl eine „Diktatur,
beruhend auf der Ausnutzung der Emotionalität der Maſſen“,
nennen. – Aber das ſehr entwickelte Syſtem der Komitee-
arbeit im engliſchen Parlament ermöglicht es und zwingt auch
jeden Politiker, der auf Teilnahme an der Führung reflektiert,
dort mitzuarbeiten. Alle erheblichen Miniſter der letzten
Jahrzehnte haben dieſe ſehr reale und wirkſame Arbeitsſchulung
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Zitationshilfe: | Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/39>, abgerufen am 16.02.2025. |