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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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bildeten Literaten. Es gab eine Zeit, wo man lateinische
Reden und griechische Verse machen lernte, zu dem Zwecke,
politischer Berater und vor allen Dingen politischer Denk-
schriftenverfasser eines Fürsten zu werden. Das war die Zeit
der ersten Blüte der Humanistenschulen und der fürstlichen
Stiftungen von Professuren der "Poetik": bei uns eine schnell
vorübergehende Epoche, die immerhin auf unser Schulwesen
nachhaltig eingewirkt hat, politisch freilich keine tieferen Folgen
hatte. Anders in Ostasien. Der chinesische Mandarin ist oder
vielmehr: war ursprünglich annähernd das, was der Humanist
unserer Renaissancezeit war: ein humanistisch an den Sprach-
denkmälern der fernen Vergangenheit geschulter und geprüfter
Literat. Wenn Sie die Tagebücher des Li-Hung-Tschang lesen,
finden Sie, daß noch er am meisten stolz darauf ist, daß er
Gedichte machte und ein guter Kalligraph war. Diese Schicht
mit ihren an der chinesischen Antike entwickelten Konventionen
hat das ganze Schicksal Chinas bestimmt, und ähnlich wäre
vielleicht unser Schicksal gewesen, wenn die Humanisten seiner-
zeit die geringste Chance gehabt hätten, mit gleichem Erfolge
sich durchzusetzen.

Die dritte Schicht war: der Hofadel. Nachdem es den
Fürsten gelungen war, den Adel in seiner ständischen politischen
Macht zu enteignen, zogen sie ihn an den Hof und verwendeten
ihn im politischen und diplomatischen Dienst. Der Umschwung
unseres Erziehungswesens im 17. Jahrhundert war mit da-
durch bedingt, daß an Stelle der humanistischen Literaten hof-
adelige Berufspolitiker in den Dienst der Fürsten traten.

Die vierte Kategorie war ein spezifisch englisches Gebilde;
ein den Kleinadel und das städtische Rentnertum umfassendes
Patriziat, technisch "gentry" genannt: - eine Schicht, die
ursprünglich der Fürst gegen die Barone heranzog und in den
Besitz der Ämter des "selfgovernment" setzte, um später zu-
nehmend von ihr abhängig zu werden. Sie hielt sich im Besitz
der sämtlichen Ämter der lokalen Verwaltung, indem sie die-
selben gratis übernahm im Jnteresse ihrer eigenen sozialen
Macht. Sie hat England vor der Bureaukratisierung bewahrt,
die das Schicksal sämtlicher Kontinentalstaaten war.

bildeten Literaten. Es gab eine Zeit, wo man lateiniſche
Reden und griechiſche Verſe machen lernte, zu dem Zwecke,
politiſcher Berater und vor allen Dingen politiſcher Denk-
ſchriftenverfaſſer eines Fürſten zu werden. Das war die Zeit
der erſten Blüte der Humaniſtenſchulen und der fürſtlichen
Stiftungen von Profeſſuren der „Poetik“: bei uns eine ſchnell
vorübergehende Epoche, die immerhin auf unſer Schulweſen
nachhaltig eingewirkt hat, politiſch freilich keine tieferen Folgen
hatte. Anders in Oſtaſien. Der chineſiſche Mandarin iſt oder
vielmehr: war urſprünglich annähernd das, was der Humaniſt
unſerer Renaiſſancezeit war: ein humaniſtiſch an den Sprach-
denkmälern der fernen Vergangenheit geſchulter und geprüfter
Literat. Wenn Sie die Tagebücher des Li-Hung-Tſchang leſen,
finden Sie, daß noch er am meiſten ſtolz darauf iſt, daß er
Gedichte machte und ein guter Kalligraph war. Dieſe Schicht
mit ihren an der chineſiſchen Antike entwickelten Konventionen
hat das ganze Schickſal Chinas beſtimmt, und ähnlich wäre
vielleicht unſer Schickſal geweſen, wenn die Humaniſten ſeiner-
zeit die geringſte Chance gehabt hätten, mit gleichem Erfolge
ſich durchzuſetzen.

Die dritte Schicht war: der Hofadel. Nachdem es den
Fürſten gelungen war, den Adel in ſeiner ſtändiſchen politiſchen
Macht zu enteignen, zogen ſie ihn an den Hof und verwendeten
ihn im politiſchen und diplomatiſchen Dienſt. Der Umſchwung
unſeres Erziehungsweſens im 17. Jahrhundert war mit da-
durch bedingt, daß an Stelle der humaniſtiſchen Literaten hof-
adelige Berufspolitiker in den Dienſt der Fürſten traten.

Die vierte Kategorie war ein ſpezifiſch engliſches Gebilde;
ein den Kleinadel und das ſtädtiſche Rentnertum umfaſſendes
Patriziat, techniſch „gentry“ genannt: – eine Schicht, die
urſprünglich der Fürſt gegen die Barone heranzog und in den
Beſitz der Ämter des „selfgovernment“ ſetzte, um ſpäter zu-
nehmend von ihr abhängig zu werden. Sie hielt ſich im Beſitz
der ſämtlichen Ämter der lokalen Verwaltung, indem ſie die-
ſelben gratis übernahm im Jntereſſe ihrer eigenen ſozialen
Macht. Sie hat England vor der Bureaukratiſierung bewahrt,
die das Schickſal ſämtlicher Kontinentalſtaaten war.

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[22/0022] bildeten Literaten. Es gab eine Zeit, wo man lateiniſche Reden und griechiſche Verſe machen lernte, zu dem Zwecke, politiſcher Berater und vor allen Dingen politiſcher Denk- ſchriftenverfaſſer eines Fürſten zu werden. Das war die Zeit der erſten Blüte der Humaniſtenſchulen und der fürſtlichen Stiftungen von Profeſſuren der „Poetik“: bei uns eine ſchnell vorübergehende Epoche, die immerhin auf unſer Schulweſen nachhaltig eingewirkt hat, politiſch freilich keine tieferen Folgen hatte. Anders in Oſtaſien. Der chineſiſche Mandarin iſt oder vielmehr: war urſprünglich annähernd das, was der Humaniſt unſerer Renaiſſancezeit war: ein humaniſtiſch an den Sprach- denkmälern der fernen Vergangenheit geſchulter und geprüfter Literat. Wenn Sie die Tagebücher des Li-Hung-Tſchang leſen, finden Sie, daß noch er am meiſten ſtolz darauf iſt, daß er Gedichte machte und ein guter Kalligraph war. Dieſe Schicht mit ihren an der chineſiſchen Antike entwickelten Konventionen hat das ganze Schickſal Chinas beſtimmt, und ähnlich wäre vielleicht unſer Schickſal geweſen, wenn die Humaniſten ſeiner- zeit die geringſte Chance gehabt hätten, mit gleichem Erfolge ſich durchzuſetzen. Die dritte Schicht war: der Hofadel. Nachdem es den Fürſten gelungen war, den Adel in ſeiner ſtändiſchen politiſchen Macht zu enteignen, zogen ſie ihn an den Hof und verwendeten ihn im politiſchen und diplomatiſchen Dienſt. Der Umſchwung unſeres Erziehungsweſens im 17. Jahrhundert war mit da- durch bedingt, daß an Stelle der humaniſtiſchen Literaten hof- adelige Berufspolitiker in den Dienſt der Fürſten traten. Die vierte Kategorie war ein ſpezifiſch engliſches Gebilde; ein den Kleinadel und das ſtädtiſche Rentnertum umfaſſendes Patriziat, techniſch „gentry“ genannt: – eine Schicht, die urſprünglich der Fürſt gegen die Barone heranzog und in den Beſitz der Ämter des „selfgovernment“ ſetzte, um ſpäter zu- nehmend von ihr abhängig zu werden. Sie hielt ſich im Beſitz der ſämtlichen Ämter der lokalen Verwaltung, indem ſie die- ſelben gratis übernahm im Jntereſſe ihrer eigenen ſozialen Macht. Sie hat England vor der Bureaukratiſierung bewahrt, die das Schickſal ſämtlicher Kontinentalſtaaten war.

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/22>, abgerufen am 24.11.2024.