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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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wo sie - wie in England - die Oberhand gegenüber dem
Monarchen gewann. Hier entwickelte sich das "Kabinett" mit
dem einheitlichen Parlamentsführer, dem "Leader", an der
Spitze, als ein Ausschuß der von den offiziellen Gesetzen igno-
rierten, tatsächlich aber allein politisch entscheidenden Macht:
der jeweils im Besitz der Mehrheit befindlichen Partei.
Die offiziellen kollegialen Körperschaften waren eben als solche
keine Organe der wirklich herrschenden Macht: der Partei,
und konnten also nicht Träger der wirklichen Regierung sein.
Eine herrschende Partei bedurfte vielmehr, um im Jnnern die
Gewalt zu behaupten und nach außen große Politik treiben zu
können, eines schlagkräftigen, nur aus ihren wirklich führenden
Männern zusammengesetzten, vertraulich verhandelnden Or-
ganes: eben des Kabinetts, der Öffentlichkeit, vor allem der
parlamentarischen Öffentlichkeit gegenüber aber eines für alle
Entschließungen verantwortlichen Führers: des Kabinettschefs.
Dies englische System ist dann in Gestalt der parlamentarischen
Ministerien auf den Kontinent übernommen worden, und nur
in Amerika und den von da aus beeinflußten Demokratien
wurde ihm ein ganz heterogenes System gegenübergestellt,
welches den erkorenen Führer der siegenden Partei durch
direkte Volkswahl an die Spitze des von ihm ernannten
Beamtenapparates stellte und ihn nur in Budget und Gesetz-
gebung an die Zustimmung des Parlaments band.

Die Entwicklung der Politik zu einem "Betrieb", der
eine Schulung im Kampf um die Macht und in dessen
Methoden erforderte, so wie sie das moderne Parteiwesen ent-
wickelte, bedingte nun die Scheidung der öffentlichen Funktio-
näre in zwei, allerdings keineswegs schroff, aber doch deutlich
geschiedene Kategorien: Fachbeamte einerseits, "politische Be-
amte" anderseits. Die im eigentlichen Wortsinn "politischen"
Beamten sind äußerlich in der Regel daran kenntlich, daß sie
jederzeit beliebig versetzt und entlassen oder doch "zur Dis-
position gestellt" werden können, wie die französischen Präfekten
und die ihnen gleichartigen Beamten anderer Länder, im schroff-
sten Gegensatz gegen die "Unabhängigkeit" der Beamten mit
richterlicher Funktion. Jn England gehören jene Beamten

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wo ſie – wie in England – die Oberhand gegenüber dem
Monarchen gewann. Hier entwickelte ſich das „Kabinett“ mit
dem einheitlichen Parlamentsführer, dem „Leader“, an der
Spitze, als ein Ausſchuß der von den offiziellen Geſetzen igno-
rierten, tatsächlich aber allein politiſch entſcheidenden Macht:
der jeweils im Beſitz der Mehrheit befindlichen Partei.
Die offiziellen kollegialen Körperſchaften waren eben als ſolche
keine Organe der wirklich herrſchenden Macht: der Partei,
und konnten alſo nicht Träger der wirklichen Regierung ſein.
Eine herrſchende Partei bedurfte vielmehr, um im Jnnern die
Gewalt zu behaupten und nach außen große Politik treiben zu
können, eines ſchlagkräftigen, nur aus ihren wirklich führenden
Männern zuſammengeſetzten, vertraulich verhandelnden Or-
ganes: eben des Kabinetts, der Öffentlichkeit, vor allem der
parlamentariſchen Öffentlichkeit gegenüber aber eines für alle
Entſchließungen verantwortlichen Führers: des Kabinettſchefs.
Dies engliſche Syſtem iſt dann in Geſtalt der parlamentariſchen
Miniſterien auf den Kontinent übernommen worden, und nur
in Amerika und den von da aus beeinflußten Demokratien
wurde ihm ein ganz heterogenes Syſtem gegenübergeſtellt,
welches den erkorenen Führer der ſiegenden Partei durch
direkte Volkswahl an die Spitze des von ihm ernannten
Beamtenapparates ſtellte und ihn nur in Budget und Geſetz-
gebung an die Zuſtimmung des Parlaments band.

Die Entwicklung der Politik zu einem „Betrieb“, der
eine Schulung im Kampf um die Macht und in deſſen
Methoden erforderte, ſo wie ſie das moderne Parteiweſen ent-
wickelte, bedingte nun die Scheidung der öffentlichen Funktio-
näre in zwei, allerdings keineswegs ſchroff, aber doch deutlich
geſchiedene Kategorien: Fachbeamte einerſeits, „politiſche Be-
amte“ anderſeits. Die im eigentlichen Wortſinn „politiſchen“
Beamten ſind äußerlich in der Regel daran kenntlich, daß ſie
jederzeit beliebig verſetzt und entlaſſen oder doch „zur Dis-
poſition geſtellt“ werden können, wie die franzöſiſchen Präfekten
und die ihnen gleichartigen Beamten anderer Länder, im ſchroff-
ſten Gegenſatz gegen die „Unabhängigkeit“ der Beamten mit
richterlicher Funktion. Jn England gehören jene Beamten

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[19/0019] wo ſie – wie in England – die Oberhand gegenüber dem Monarchen gewann. Hier entwickelte ſich das „Kabinett“ mit dem einheitlichen Parlamentsführer, dem „Leader“, an der Spitze, als ein Ausſchuß der von den offiziellen Geſetzen igno- rierten, tatsächlich aber allein politiſch entſcheidenden Macht: der jeweils im Beſitz der Mehrheit befindlichen Partei. Die offiziellen kollegialen Körperſchaften waren eben als ſolche keine Organe der wirklich herrſchenden Macht: der Partei, und konnten alſo nicht Träger der wirklichen Regierung ſein. Eine herrſchende Partei bedurfte vielmehr, um im Jnnern die Gewalt zu behaupten und nach außen große Politik treiben zu können, eines ſchlagkräftigen, nur aus ihren wirklich führenden Männern zuſammengeſetzten, vertraulich verhandelnden Or- ganes: eben des Kabinetts, der Öffentlichkeit, vor allem der parlamentariſchen Öffentlichkeit gegenüber aber eines für alle Entſchließungen verantwortlichen Führers: des Kabinettſchefs. Dies engliſche Syſtem iſt dann in Geſtalt der parlamentariſchen Miniſterien auf den Kontinent übernommen worden, und nur in Amerika und den von da aus beeinflußten Demokratien wurde ihm ein ganz heterogenes Syſtem gegenübergeſtellt, welches den erkorenen Führer der ſiegenden Partei durch direkte Volkswahl an die Spitze des von ihm ernannten Beamtenapparates ſtellte und ihn nur in Budget und Geſetz- gebung an die Zuſtimmung des Parlaments band. Die Entwicklung der Politik zu einem „Betrieb“, der eine Schulung im Kampf um die Macht und in deſſen Methoden erforderte, ſo wie ſie das moderne Parteiweſen ent- wickelte, bedingte nun die Scheidung der öffentlichen Funktio- näre in zwei, allerdings keineswegs ſchroff, aber doch deutlich geſchiedene Kategorien: Fachbeamte einerſeits, „politiſche Be- amte“ anderſeits. Die im eigentlichen Wortſinn „politiſchen“ Beamten ſind äußerlich in der Regel daran kenntlich, daß ſie jederzeit beliebig verſetzt und entlaſſen oder doch „zur Dis- poſition geſtellt“ werden können, wie die franzöſiſchen Präfekten und die ihnen gleichartigen Beamten anderer Länder, im ſchroff- ſten Gegenſatz gegen die „Unabhängigkeit“ der Beamten mit richterlicher Funktion. Jn England gehören jene Beamten 2*

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/19>, abgerufen am 24.11.2024.