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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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uns, geht der ökonomische Kampf der Nationalitäten seinen Gang.
Nicht im offenen Streit werden die deutschen Bauern und Tag-
löhner des Ostens durch politisch überlegene Feinde von der
Scholle gestoßen: im stillen und öden Ringen des ökonomischen
Alltagslebens ziehen sie einer tieferstehenden Rasse gegenüber den
Kürzeren, verlassen die Heimat und gehen dem Untertauchen in
eine dunkle Zukunft entgegen. Es gibt keinen Frieden auch im
wirtschaftlichen Kampf ums Dasein; nur wer jenen Schein des
Friedens für die Wahrheit nimmt, kann glauben, daß aus dem
Schoße der Zukunft für unsere Nachfahren Frieden und Lebens-
genuß erstehen werde. Wir wissen es ja: die Volkswirtschafts-
politik ist der vulgären Auffassung ein Sinnen über Rezepten für
die Beglückung der Welt - die Besserung der "Lustbilanz"
des Menschendaseins ist für sie das einzig verständliche Ziel
unserer Arbeit. Allein: schon der dunkle Ernst des Bevölke-
rungsproblems hindert uns, Eudämonisten zu sein, Frieden und
Menschenglück im Schoße der Zukunft verborgen zu wähnen und
zu glauben, daß anders als im harten Kampf des Menschen mit
dem Menschen der Ellenbogenraum im irdischen Dasein werde
gewonnen werden.

Es giebt sicherlich keine volkswirtschaftspolitische Arbeit auf
anderer als altruistischer Grundlage. Die Früchte alles wirtschafts-
und sozialpolitischen Strebens der Gegenwart kommen in ihrer ge-
waltigen Ueberzahl nicht der lebenden Generation, sondern der künf-
tigen zugute. Unsere Arbeit ist und kann, wenn sie einen
Sinn behalten soll, nur sein wollen Fürsorge für die Zukunft,
für unsere Nachfahren. Aber es giebt auch keine volks-
wirtschaftspolitische Arbeit auf der Grundlage optimistischer
Glückshoffnungen. Für den Traum von Frieden und Menschen-

uns, geht der ökonomiſche Kampf der Nationalitäten ſeinen Gang.
Nicht im offenen Streit werden die deutſchen Bauern und Tag-
löhner des Oſtens durch politiſch überlegene Feinde von der
Scholle geſtoßen: im ſtillen und öden Ringen des ökonomiſchen
Alltagslebens ziehen ſie einer tieferſtehenden Raſſe gegenüber den
Kürzeren, verlaſſen die Heimat und gehen dem Untertauchen in
eine dunkle Zukunft entgegen. Es gibt keinen Frieden auch im
wirtſchaftlichen Kampf ums Daſein; nur wer jenen Schein des
Friedens für die Wahrheit nimmt, kann glauben, daß aus dem
Schoße der Zukunft für unſere Nachfahren Frieden und Lebens-
genuß erſtehen werde. Wir wiſſen es ja: die Volkswirtſchafts-
politik iſt der vulgären Auffaſſung ein Sinnen über Rezepten für
die Beglückung der Welt – die Beſſerung der „Luſtbilanz“
des Menſchendaſeins iſt für ſie das einzig verſtändliche Ziel
unſerer Arbeit. Allein: ſchon der dunkle Ernſt des Bevölke-
rungsproblems hindert uns, Eudämoniſten zu ſein, Frieden und
Menſchenglück im Schoße der Zukunft verborgen zu wähnen und
zu glauben, daß anders als im harten Kampf des Menſchen mit
dem Menſchen der Ellenbogenraum im irdiſchen Daſein werde
gewonnen werden.

Es giebt ſicherlich keine volkswirtſchaftspolitiſche Arbeit auf
anderer als altruiſtiſcher Grundlage. Die Früchte alles wirtſchafts-
und ſozialpolitiſchen Strebens der Gegenwart kommen in ihrer ge-
waltigen Ueberzahl nicht der lebenden Generation, ſondern der künf-
tigen zugute. Unſere Arbeit iſt und kann, wenn ſie einen
Sinn behalten ſoll, nur ſein wollen Fürſorge für die Zukunft,
für unſere Nachfahren. Aber es giebt auch keine volks-
wirtſchaftspolitiſche Arbeit auf der Grundlage optimiſtiſcher
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[16/0022] uns, geht der ökonomiſche Kampf der Nationalitäten ſeinen Gang. Nicht im offenen Streit werden die deutſchen Bauern und Tag- löhner des Oſtens durch politiſch überlegene Feinde von der Scholle geſtoßen: im ſtillen und öden Ringen des ökonomiſchen Alltagslebens ziehen ſie einer tieferſtehenden Raſſe gegenüber den Kürzeren, verlaſſen die Heimat und gehen dem Untertauchen in eine dunkle Zukunft entgegen. Es gibt keinen Frieden auch im wirtſchaftlichen Kampf ums Daſein; nur wer jenen Schein des Friedens für die Wahrheit nimmt, kann glauben, daß aus dem Schoße der Zukunft für unſere Nachfahren Frieden und Lebens- genuß erſtehen werde. Wir wiſſen es ja: die Volkswirtſchafts- politik iſt der vulgären Auffaſſung ein Sinnen über Rezepten für die Beglückung der Welt – die Beſſerung der „Luſtbilanz“ des Menſchendaſeins iſt für ſie das einzig verſtändliche Ziel unſerer Arbeit. Allein: ſchon der dunkle Ernſt des Bevölke- rungsproblems hindert uns, Eudämoniſten zu ſein, Frieden und Menſchenglück im Schoße der Zukunft verborgen zu wähnen und zu glauben, daß anders als im harten Kampf des Menſchen mit dem Menſchen der Ellenbogenraum im irdiſchen Daſein werde gewonnen werden. Es giebt ſicherlich keine volkswirtſchaftspolitiſche Arbeit auf anderer als altruiſtiſcher Grundlage. Die Früchte alles wirtſchafts- und ſozialpolitiſchen Strebens der Gegenwart kommen in ihrer ge- waltigen Ueberzahl nicht der lebenden Generation, ſondern der künf- tigen zugute. Unſere Arbeit iſt und kann, wenn ſie einen Sinn behalten ſoll, nur ſein wollen Fürſorge für die Zukunft, für unſere Nachfahren. Aber es giebt auch keine volks- wirtſchaftspolitiſche Arbeit auf der Grundlage optimiſtiſcher Glückshoffnungen. Für den Traum von Frieden und Menſchen-

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/22>, abgerufen am 21.11.2024.