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Weber, Mathilde: Ein Besuch in Zürich bei den weiblichen Studierenden der Medizin. Stuttgart, 1888.

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Sollte nicht bald ein ähnliches gerechtes Vorgehen, wie in den uns
umgrenzenden Kulturländern, auch bei uns möglich werden?

Die Toleranz ist doch das Kennzeichen großer Menschen und großer
Zeiten. Sollten die verbitterten Schwarzseher Recht bekommen, welche
nach den großen Erhebungen und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte
einen gewissen Stillstand oder Rückgang in der sozialen Entwicklung als
eine logische Naturnotwendigkeit befürchten?

Es würde sich bei einer praktischen Erledigung dieser Frage eigentlich
nur um eine endliche Realisierung des Ausspruchs handeln, mit welchem
vor beinahe zwanzig Jahren ein edler Beschützer der Frauenarbeit, Fabri-
kant Müller aus Pforzheim, in der badischen Kammer unser Jnteresse
vertrat; er sagte: "die Frauen sollten auch arbeiten dürfen, zu was sie
fähig sind." Macht dieses logisch einfache Natur-Prinzip nicht alle die
weitgesuchten, oft widerspruchsvollen, kränkenden, gehässigen und demütigen-
den Gründe der Gegner tot, mit welchen sie uns ewig unter Vormund-
schaft halten wollen.

Reguliert die Natur, auf die uns die Gegner so oft hinweisen, nicht
am besten selbst die Grenzen unserer Thätigkeit? Bedarf es da noch, daß
das stärkere und mächtigere Geschlecht uns, "dem schwachen", überall durch
hemmende Fesseln und Ketten die volle Entwicklung unserer Leistungsfähig-
keiten unmöglich macht?

Unter den Gegengründen, die mir auch in Zürich von einzelnen Deutschen
entgegengehalten wurden, gehört zu den kränkendsten und das Rechtsgefühl
verletzendsten stets der: daß man damit noch mehr die ohnehin große
Konkurrenz der Männer auf dem Arbeitsmarkt vermehre. Warum sollen
denn die armen Mädchen, für die weder der Staat, noch ein Gatte oder
Bruder, oder das Vermögen der Eltern, ein arbeits- und sorgenloses Leben
schaffen, nicht auch arbeiten dürfen und sich in die allgemeine Arbeits-
konkurrenz einreihen, wie sie wollen und können? Verbietet man es denn
je den Männern, daß sie die eigentlich rein weiblichen Berufe der Frauen-
ärzte, Mädchenlehrer, Köche, Konditoren, Damenschneider, Damen-Kon-
fektions-Verkäufer, und speziell weibliche Fabrikarbeiten u. s. w. betreiben?
Jn Amerika bügeln und waschen bereits die Chinesen, wer weiß, wie
bald das auch hier die Männer uns noch wegnehmen wollen!

Soll nur bei uns allein nicht jenes goldene Zeitalter für die Arbeit-
suchenden beginnen, wo nicht mehr das Geschlecht, sondern nur die beste
Leistung bei jedwelchem Angebot entscheidet?

Die deutschen Dichter besingen am häufigsten die Frauen, trotzdem
stellen die größere Mehrzahl der Männer uns heute noch in den
sozialen Lebensverhältnissen, in den Gesetzen und Rechten, und in der Be-
urteilung niedriger als die meisten andern modernen Kulturvölker.

Auch manche gebildete Männer, halten leider noch immer unberech-
tigter und unerprobter Weise an dem veralteten einseitigen Standpunkt
fest: Wissen und Bildung vertrage sich nicht mit den hauswirtschaftlichen
Leistungen und Pflichten: Hörte ich doch selbst unlängst noch einen hoch-
gestellten Beamten, der seine Haushälterin geheiratet hatte, sagen: eine
gute deutsche Hausfrau bedürfe eigentlich kaum viel mehr Lektüre als die
Bibel, das Kochbuch und das Tagblatt, und die Mädchen sollten lieber
heiraten als studieren wollen. Mit diesem gedankenlos hingeworfenen,
wohlmeinenden Rat glauben Manche das Jhrige für die Frauenfrage ge-

Sollte nicht bald ein ähnliches gerechtes Vorgehen, wie in den uns
umgrenzenden Kulturländern, auch bei uns möglich werden?

Die Toleranz ist doch das Kennzeichen großer Menschen und großer
Zeiten. Sollten die verbitterten Schwarzseher Recht bekommen, welche
nach den großen Erhebungen und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte
einen gewissen Stillstand oder Rückgang in der sozialen Entwicklung als
eine logische Naturnotwendigkeit befürchten?

Es würde sich bei einer praktischen Erledigung dieser Frage eigentlich
nur um eine endliche Realisierung des Ausspruchs handeln, mit welchem
vor beinahe zwanzig Jahren ein edler Beschützer der Frauenarbeit, Fabri-
kant Müller aus Pforzheim, in der badischen Kammer unser Jnteresse
vertrat; er sagte: „die Frauen sollten auch arbeiten dürfen, zu was sie
fähig sind.“ Macht dieses logisch einfache Natur-Prinzip nicht alle die
weitgesuchten, oft widerspruchsvollen, kränkenden, gehässigen und demütigen-
den Gründe der Gegner tot, mit welchen sie uns ewig unter Vormund-
schaft halten wollen.

Reguliert die Natur, auf die uns die Gegner so oft hinweisen, nicht
am besten selbst die Grenzen unserer Thätigkeit? Bedarf es da noch, daß
das stärkere und mächtigere Geschlecht uns, „dem schwachen“, überall durch
hemmende Fesseln und Ketten die volle Entwicklung unserer Leistungsfähig-
keiten unmöglich macht?

Unter den Gegengründen, die mir auch in Zürich von einzelnen Deutschen
entgegengehalten wurden, gehört zu den kränkendsten und das Rechtsgefühl
verletzendsten stets der: daß man damit noch mehr die ohnehin große
Konkurrenz der Männer auf dem Arbeitsmarkt vermehre. Warum sollen
denn die armen Mädchen, für die weder der Staat, noch ein Gatte oder
Bruder, oder das Vermögen der Eltern, ein arbeits- und sorgenloses Leben
schaffen, nicht auch arbeiten dürfen und sich in die allgemeine Arbeits-
konkurrenz einreihen, wie sie wollen und können? Verbietet man es denn
je den Männern, daß sie die eigentlich rein weiblichen Berufe der Frauen-
ärzte, Mädchenlehrer, Köche, Konditoren, Damenschneider, Damen-Kon-
fektions-Verkäufer, und speziell weibliche Fabrikarbeiten u. s. w. betreiben?
Jn Amerika bügeln und waschen bereits die Chinesen, wer weiß, wie
bald das auch hier die Männer uns noch wegnehmen wollen!

Soll nur bei uns allein nicht jenes goldene Zeitalter für die Arbeit-
suchenden beginnen, wo nicht mehr das Geschlecht, sondern nur die beste
Leistung bei jedwelchem Angebot entscheidet?

Die deutschen Dichter besingen am häufigsten die Frauen, trotzdem
stellen die größere Mehrzahl der Männer uns heute noch in den
sozialen Lebensverhältnissen, in den Gesetzen und Rechten, und in der Be-
urteilung niedriger als die meisten andern modernen Kulturvölker.

Auch manche gebildete Männer, halten leider noch immer unberech-
tigter und unerprobter Weise an dem veralteten einseitigen Standpunkt
fest: Wissen und Bildung vertrage sich nicht mit den hauswirtschaftlichen
Leistungen und Pflichten: Hörte ich doch selbst unlängst noch einen hoch-
gestellten Beamten, der seine Haushälterin geheiratet hatte, sagen: eine
gute deutsche Hausfrau bedürfe eigentlich kaum viel mehr Lektüre als die
Bibel, das Kochbuch und das Tagblatt, und die Mädchen sollten lieber
heiraten als studieren wollen. Mit diesem gedankenlos hingeworfenen,
wohlmeinenden Rat glauben Manche das Jhrige für die Frauenfrage ge-

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[10/0010] Sollte nicht bald ein ähnliches gerechtes Vorgehen, wie in den uns umgrenzenden Kulturländern, auch bei uns möglich werden? Die Toleranz ist doch das Kennzeichen großer Menschen und großer Zeiten. Sollten die verbitterten Schwarzseher Recht bekommen, welche nach den großen Erhebungen und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte einen gewissen Stillstand oder Rückgang in der sozialen Entwicklung als eine logische Naturnotwendigkeit befürchten? Es würde sich bei einer praktischen Erledigung dieser Frage eigentlich nur um eine endliche Realisierung des Ausspruchs handeln, mit welchem vor beinahe zwanzig Jahren ein edler Beschützer der Frauenarbeit, Fabri- kant Müller aus Pforzheim, in der badischen Kammer unser Jnteresse vertrat; er sagte: „die Frauen sollten auch arbeiten dürfen, zu was sie fähig sind.“ Macht dieses logisch einfache Natur-Prinzip nicht alle die weitgesuchten, oft widerspruchsvollen, kränkenden, gehässigen und demütigen- den Gründe der Gegner tot, mit welchen sie uns ewig unter Vormund- schaft halten wollen. Reguliert die Natur, auf die uns die Gegner so oft hinweisen, nicht am besten selbst die Grenzen unserer Thätigkeit? Bedarf es da noch, daß das stärkere und mächtigere Geschlecht uns, „dem schwachen“, überall durch hemmende Fesseln und Ketten die volle Entwicklung unserer Leistungsfähig- keiten unmöglich macht? Unter den Gegengründen, die mir auch in Zürich von einzelnen Deutschen entgegengehalten wurden, gehört zu den kränkendsten und das Rechtsgefühl verletzendsten stets der: daß man damit noch mehr die ohnehin große Konkurrenz der Männer auf dem Arbeitsmarkt vermehre. Warum sollen denn die armen Mädchen, für die weder der Staat, noch ein Gatte oder Bruder, oder das Vermögen der Eltern, ein arbeits- und sorgenloses Leben schaffen, nicht auch arbeiten dürfen und sich in die allgemeine Arbeits- konkurrenz einreihen, wie sie wollen und können? Verbietet man es denn je den Männern, daß sie die eigentlich rein weiblichen Berufe der Frauen- ärzte, Mädchenlehrer, Köche, Konditoren, Damenschneider, Damen-Kon- fektions-Verkäufer, und speziell weibliche Fabrikarbeiten u. s. w. betreiben? Jn Amerika bügeln und waschen bereits die Chinesen, wer weiß, wie bald das auch hier die Männer uns noch wegnehmen wollen! Soll nur bei uns allein nicht jenes goldene Zeitalter für die Arbeit- suchenden beginnen, wo nicht mehr das Geschlecht, sondern nur die beste Leistung bei jedwelchem Angebot entscheidet? Die deutschen Dichter besingen am häufigsten die Frauen, trotzdem stellen die größere Mehrzahl der Männer uns heute noch in den sozialen Lebensverhältnissen, in den Gesetzen und Rechten, und in der Be- urteilung niedriger als die meisten andern modernen Kulturvölker. Auch manche gebildete Männer, halten leider noch immer unberech- tigter und unerprobter Weise an dem veralteten einseitigen Standpunkt fest: Wissen und Bildung vertrage sich nicht mit den hauswirtschaftlichen Leistungen und Pflichten: Hörte ich doch selbst unlängst noch einen hoch- gestellten Beamten, der seine Haushälterin geheiratet hatte, sagen: eine gute deutsche Hausfrau bedürfe eigentlich kaum viel mehr Lektüre als die Bibel, das Kochbuch und das Tagblatt, und die Mädchen sollten lieber heiraten als studieren wollen. Mit diesem gedankenlos hingeworfenen, wohlmeinenden Rat glauben Manche das Jhrige für die Frauenfrage ge-

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Zitationshilfe: Weber, Mathilde: Ein Besuch in Zürich bei den weiblichen Studierenden der Medizin. Stuttgart, 1888, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_besuch_1888/10>, abgerufen am 24.11.2024.