Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 2. Leipzig, 1870.[Spaltenumbruch] 17 Je reicher die Herrschaften, desto ärmer die Unterthanen. (Wend. Lausitz.) 18 Jede Herrschaft hat eine Grenze (ein Mass, ein Ende). Daher die Russen: Die Herrschaft über das Meer gibt Gott dem Zar nicht. 19 Keine Herrschaft ist vollkommen. - Simrock, 4671. 20 Neue Herrschaft, neue Lehrzeit. - Simrock, 4668; Körte, 2817. 21 Schlimme Herrschaft hat auch ein End'. Dän.: Ondt herskab faaer vel ende, men ikke en ond kornmark. (Prov. dan., 285.) 22 Versäumt die Herrschaft Jahr und Tag, so ist ihre Gerechtigkeit aus. - Graf, 124, 344. Auf Rügen: Versümet de Herrschop Jahr und Dach, die gerechtigkeit diesfalls ist vthe. (Norman, 362, 33.) Drückt die kurze Verjährungsfrist für nicht erhobenen Zehnten aus. Was nach Ablauf eines Jahres nicht geleistet oder erhoben worden ist, soll verfallen sein, sodass bei fortgesetzter Versäumniss zuletzt die Ansprüche wol überhaupt hinfällig werden könnten. 23 Was hilft mir Herrschaft und alle List, wenn doch ein Floh mein Meister ist! - Bacmeister, 53. 24 Wenn die Herrschaft nicht zu Hause ist, halten Hund und Katzen Hof. - Gutzkow, Ritter vom Geist, I, 137. Herrschen. 1 Herrschen freundlich und mit Willen macht viel Zwist und Hader stillen. - Schottel, 1133a. 2 Herrschen und Dichten ist zweierlei. Der beste Dichter kann ein schlechter Minister und König sein. 3 So du wilt herrschen dermalein, lern dienen vnd demütig sein. - Henisch, 674, 60. 4 Wer gut herrschen will, muss dienen gelernt haben. Dän.: Agter du at blive en god herre, laer först at vaere en god tiener. (Prov. dan., 280.) 5 Wer herrschen will, der muss Neid und Misgunst leiden können. - Sutor, 221. Lat.: Ars bene regnandi prima posse invidiam pati. (Sutor, 221; Seybold, 38.) 6 Wer wenig herrscht, erhält viele zu Freunden. - Graf, 523, 296. Herrscher. 1 Ain Herrscher, der sich füllt mit Wein, dunckt andere Narren witzig sein. - Gruter, III, 7. 2 Die Herrscher wechseln nie, es wechseln nur die Namen. - Eiselein, 305. Die Russen bemerken mit Recht: Eines Herrschers Macht reicht noch über seinen Tod hinaus. Lat.: In principatu commutando civium nil praeter domini nomen mutant pauperes. (Phädr.) (Eiselein, 305; Philippi, I, 202.) 3 Die Herrscher wechseln und die Lasten (Steuern, Scherer) bleiben. 4 Ein Herrscher fällt eher (vom Throne) herunter, als dass er heruntersteigt. Lat.: In servitutem cadere de regno grave est. (Philippi, I, 203.) 5 Ein Herrscher muss zuweilen ein Auge zudrücken. 6 Ein weiser Herrscher will mehr erhalten als vermehren. Lat.: Gnavorum imperium servare est induperandum. (Philippi, I, 169.) 7 Geht der Herrscher voran, dann folget willig jedermann. 8 Wer ein guter Herrscher werden will, muss erst ein guter Gehorcher sein. Wer erst fremden Befehlen gehorcht, schon früh Herr seiner Leidenschaften wird., der wird einst vernünftig über andere gebieten. "Ein wahres Herrschen lernen wir vom Dienen." (K. Gutzkow, Philipp und Perez.) 9 Wie der Herrscher, so das Volk. - Faal, 886; Reinsberg III, 62. It.: Qual e il rettore, tali son gli popoli. (Gaal, 886.) Lat.: Regis ad exemplum totus componitur orbis. (Gaal, 886.) Ung.: Minö a kiraly, olyan a nep. (Gaal, 816.) Herrschsucht. Herrschsucht und Eigennutz sind die nächsten Verwandten. Hersagen. * Er sagt's her, wie die Nonne den Psalter. - Klosterspiegel, 5, 16. Den lateinischen; d. h. gedankenlos, ohne Sinn und Verstand. Herschauen. *1 De schaugt hear, as wenn e' mit de ganz'n Welt in AUfried war. (Unterinnthal.) - Frommann, VI, 37, 81. *2 Herschaug'n wie der Bock um neun. - Schöpf, 595. D. i. ganz verblüfft. Herscheissen. Schuit her, ick löchte dir. (Sauerland.) Du wirst was ausrichten! Ironisch, verächtlich. Hersein. *1 Duoas eis schau har, sett jerr gefiffen haut. (Sprottau.) - Firmenich, II, 298, 7. Das ist schon lange her, seit jener gepfiffen hat. *2 Er ist nicht weit her. Sagt man in Deutschland, um zu bezeichnen, dass etwas nicht viel werth sei, als wenn nur von der Ferne Heil und Segen käme. In dieser Redensart hat sich unser nationales Erbübel, die Ausländerei, zu unserer Beschämung niedergelassen. *3 Sie ist dort her, wo die grossen Reisken wachsen mit den langen Stielen. Herstehen. * Dar steit he her un hett de Tunge inn Munn. - Eichwald, 1958. Herstellen. * Einen herstellen wie das Kind vor den Dreck. - Schöpf, 90. Ihn auf eine sehr starke Weise beschämen. Hertenkamp. * In Hertenkamp Kiviten hüten gehen. In Xanten, um zu sagen: Ein Hagestolz werden. Hertha. Die Hertha gift Gras und füllt Schür un Fat. - Hallische Literaturzeitung, 1823, S. 375. Grimm (Mythologie, 694) bemerkt: "Schon der unsächsische Reim: Gras, Fat, verkündet das Machwerk, welches offenbar nach der Bauernregel: Mai kühl und nass füllt Scheune und Fass, schlecht ersonnen ist." Nach dieser Ansicht müsste der Volksgeist jedem Ausspruch, dem er sprichwörtlichen Charakter geben wollte, zuvor bei irgendeinem deutschen Professor abstempeln lassen. Wie viel Hunderte von Sprichwörtern müssten gestrichen werden, wenn man bei jedem fragen wollte, ob es nach irgendeinem gelehrten Regulativ geboren und erzogen worden sei. Einem Sprichwort genügt es, da zu sein und als solches erkannt zu werden. Auf seine eheliche oder adeliche Geburt kommt dabei wenig an. Herthun. Thut her nur, was euer Will' ist. - Schleswigholst. Jahrb., IV, 120. Hertragen. Trag her, mehr her, gebt mir, mangelt jhr; also lauten der betler glocken. - Henisch, 346, 31; Sailer, 110; Simrock, 1057. Herüber. 'Rüber und 'nüber wie Achrimon (?) seine Weste (oder: wie dem Leau'schen(?) Cantor sein Hosenlatt). Ich ersuche die geehrten Einsender, Sprichwörter dieser Art (local, aus dem Volksmunde geschöpft und noch nirgends erklärt) wenn irgend möglich mit einigen erläuternden Bemerkungen zu begleiten, die über Entstehung, Oertlichkeit, Personen, Anwendung u. dgl. Auskunft geben. Herübergucken. Gucke herüber, gucke hinüber. - Simrock, 4082. Herüberkommen. * Er kann nicht herüberkommen. Im Sauerland, um zu sagen: Er kann nicht bezahlen. Herumdrehen. 1 Herumgedreht ist auch gefahren. (Unterfranken.) Von Aenderungen, die nichts bessern. Wenn der Staatswagen blos umgedreht wird, so zeigt dies zwar, dass die Lenker fahren, aber noch nicht, dass sie gut fahren. Auch kann beim Umdrehen die Deichsel abbrechen, der Wagen kann in abschüssige Bewegung, in Sümpfe gerathen. 2 Wer sich zu oft herumdreht, fällt leicht zu Boden. Frz.: Trop tourner faict a terre tomber. (Bovill, III, 94.) Lat.: Nimia corporis circumactio virum prosternit. (Bovill, III, 94.)
[Spaltenumbruch] 17 Je reicher die Herrschaften, desto ärmer die Unterthanen. (Wend. Lausitz.) 18 Jede Herrschaft hat eine Grenze (ein Mass, ein Ende). Daher die Russen: Die Herrschaft über das Meer gibt Gott dem Zar nicht. 19 Keine Herrschaft ist vollkommen. – Simrock, 4671. 20 Neue Herrschaft, neue Lehrzeit. – Simrock, 4668; Körte, 2817. 21 Schlimme Herrschaft hat auch ein End'. Dän.: Ondt herskab faaer vel ende, men ikke en ond kornmark. (Prov. dan., 285.) 22 Versäumt die Herrschaft Jahr und Tag, so ist ihre Gerechtigkeit aus. – Graf, 124, 344. Auf Rügen: Versümet de Herrschop Jahr und Dach, die gerechtigkeit diesfalls ist vthe. (Norman, 362, 33.) Drückt die kurze Verjährungsfrist für nicht erhobenen Zehnten aus. 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Dän.: Ondt herskab faaer vel ende, men ikke en ond kornmark. (Prov. dan., 285.)
22 Versäumt die Herrschaft Jahr und Tag, so ist ihre Gerechtigkeit aus. – Graf, 124, 344.
Auf Rügen: Versümet de Herrschop Jahr und Dach, die gerechtigkeit diesfalls ist vthe. (Norman, 362, 33.) Drückt die kurze Verjährungsfrist für nicht erhobenen Zehnten aus. Was nach Ablauf eines Jahres nicht geleistet oder erhoben worden ist, soll verfallen sein, sodass bei fortgesetzter Versäumniss zuletzt die Ansprüche wol überhaupt hinfällig werden könnten.
23 Was hilft mir Herrschaft und alle List, wenn doch ein Floh mein Meister ist! – Bacmeister, 53.
24 Wenn die Herrschaft nicht zu Hause ist, halten Hund und Katzen Hof. – Gutzkow, Ritter vom Geist, I, 137.
Herrschen.
1 Herrschen freundlich und mit Willen macht viel Zwist und Hader stillen. – Schottel, 1133a.
2 Herrschen und Dichten ist zweierlei.
Der beste Dichter kann ein schlechter Minister und König sein.
3 So du wilt herrschen dermalein, lern dienen vnd demütig sein. – Henisch, 674, 60.
4 Wer gut herrschen will, muss dienen gelernt haben.
Dän.: Agter du at blive en god herre, lær først at være en god tiener. (Prov. dan., 280.)
5 Wer herrschen will, der muss Neid und Misgunst leiden können. – Sutor, 221.
Lat.: Ars bene regnandi prima posse invidiam pati. (Sutor, 221; Seybold, 38.)
6 Wer wenig herrscht, erhält viele zu Freunden. – Graf, 523, 296.
Herrscher.
1 Ain Herrscher, der sich füllt mit Wein, dunckt andere Narren witzig sein. – Gruter, III, 7.
2 Die Herrscher wechseln nie, es wechseln nur die Namen. – Eiselein, 305.
Die Russen bemerken mit Recht: Eines Herrschers Macht reicht noch über seinen Tod hinaus.
Lat.: In principatu commutando civium nil praeter domini nomen mutant pauperes. (Phädr.) (Eiselein, 305; Philippi, I, 202.)
3 Die Herrscher wechseln und die Lasten (Steuern, Scherer) bleiben.
4 Ein Herrscher fällt eher (vom Throne) herunter, als dass er heruntersteigt.
Lat.: In servitutem cadere de regno grave est. (Philippi, I, 203.)
5 Ein Herrscher muss zuweilen ein Auge zudrücken.
6 Ein weiser Herrscher will mehr erhalten als vermehren.
Lat.: Gnavorum imperium servare est induperandum. (Philippi, I, 169.)
7 Geht der Herrscher voran, dann folget willig jedermann.
8 Wer ein guter Herrscher werden will, muss erst ein guter Gehorcher sein.
Wer erst fremden Befehlen gehorcht, schon früh Herr seiner Leidenschaften wird., der wird einst vernünftig über andere gebieten. „Ein wahres Herrschen lernen wir vom Dienen.“ (K. Gutzkow, Philipp und Perez.)
9 Wie der Herrscher, so das Volk. – Faal, 886; Reinsberg III, 62.
It.: Qual è il rettore, tali son gli popoli. (Gaal, 886.)
Lat.: Regis ad exemplum totus componitur orbis. (Gaal, 886.)
Ung.: Minö a kiraly, olyan a nép. (Gaal, 816.)
Herrschsucht.
Herrschsucht und Eigennutz sind die nächsten Verwandten.
Hersagen.
* Er sagt's her, wie die Nonne den Psalter. – Klosterspiegel, 5, 16.
Den lateinischen; d. h. gedankenlos, ohne Sinn und Verstand.
Herschauen.
*1 De schaugt hear, as wenn e' mit de ganz'n Welt in Ûfried war. (Unterinnthal.) – Frommann, VI, 37, 81.
*2 Herschaug'n wie der Bock um neun. – Schöpf, 595.
D. i. ganz verblüfft.
Herscheissen.
Schuit hêr, ick löchte dir. (Sauerland.)
Du wirst was ausrichten! Ironisch, verächtlich.
Hersein.
*1 Duoas eis schau har, sett jerr gefiffen haut. (Sprottau.) – Firmenich, II, 298, 7.
Das ist schon lange her, seit jener gepfiffen hat.
*2 Er ist nicht weit her.
Sagt man in Deutschland, um zu bezeichnen, dass etwas nicht viel werth sei, als wenn nur von der Ferne Heil und Segen käme. In dieser Redensart hat sich unser nationales Erbübel, die Ausländerei, zu unserer Beschämung niedergelassen.
*3 Sie ist dort her, wo die grossen Reisken wachsen mit den langen Stielen.
Herstehen.
* Dar steit he her un hett de Tunge inn Munn. – Eichwald, 1958.
Herstellen.
* Einen herstellen wie das Kind vor den Dreck. – Schöpf, 90.
Ihn auf eine sehr starke Weise beschämen.
Hertenkamp.
* In Hertenkamp Kiviten hüten gehen.
In Xanten, um zu sagen: Ein Hagestolz werden.
Hertha.
Die Hertha gift Gras und füllt Schür un Fat. – Hallische Literaturzeitung, 1823, S. 375.
Grimm (Mythologie, 694) bemerkt: „Schon der unsächsische Reim: Gras, Fat, verkündet das Machwerk, welches offenbar nach der Bauernregel: Mai kühl und nass füllt Scheune und Fass, schlecht ersonnen ist.“ Nach dieser Ansicht müsste der Volksgeist jedem Ausspruch, dem er sprichwörtlichen Charakter geben wollte, zuvor bei irgendeinem deutschen Professor abstempeln lassen. Wie viel Hunderte von Sprichwörtern müssten gestrichen werden, wenn man bei jedem fragen wollte, ob es nach irgendeinem gelehrten Regulativ geboren und erzogen worden sei. Einem Sprichwort genügt es, da zu sein und als solches erkannt zu werden. Auf seine eheliche oder adeliche Geburt kommt dabei wenig an.
Herthun.
Thut her nur, was euer Will' ist. – Schleswigholst. Jahrb., IV, 120.
Hertragen.
Trag her, mehr her, gebt mir, mangelt jhr; also lauten der betler glocken. – Henisch, 346, 31; Sailer, 110; Simrock, 1057.
Herüber.
'Rüber und 'nüber wie Achrimon (?) seine Weste (oder: wie dem Leau'schen(?) Cantor sein Hosenlatt).
Ich ersuche die geehrten Einsender, Sprichwörter dieser Art (local, aus dem Volksmunde geschöpft und noch nirgends erklärt) wenn irgend möglich mit einigen erläuternden Bemerkungen zu begleiten, die über Entstehung, Oertlichkeit, Personen, Anwendung u. dgl. Auskunft geben.
Herübergucken.
Gucke herüber, gucke hinüber. – Simrock, 4082.
Herüberkommen.
* Er kann nicht herüberkommen.
Im Sauerland, um zu sagen: Er kann nicht bezahlen.
Herumdrehen.
1 Herumgedreht ist auch gefahren. (Unterfranken.)
Von Aenderungen, die nichts bessern. Wenn der Staatswagen blos umgedreht wird, so zeigt dies zwar, dass die Lenker fahren, aber noch nicht, dass sie gut fahren. Auch kann beim Umdrehen die Deichsel abbrechen, der Wagen kann in abschüssige Bewegung, in Sümpfe gerathen.
2 Wer sich zu oft herumdreht, fällt leicht zu Boden.
Frz.: Trop tourner faict a terre tomber. (Bovill, III, 94.)
Lat.: Nimia corporis circumactio virum prosternit. (Bovill, III, 94.)
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