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Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 1. Leipzig, 1867.

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waren. Mag Herr Harrebomee sich im holländischen Sprichwörterschatze, dem es ja nicht an derben und malerischen Bezeichnungen fehlt, den richtigen Ausdruck für sein Verfahren suchen, ein Verfahren, das eine Arbeit wie die meinige nach 20 Spalten beurtheilt, während bereits 128 vorlagen. Wollte ich selbst es überhaupt bezeichnen, ich könnte leicht einen Ausdruck wählen, dem das diplomatische Aroma fehlte.

Nach einer so gründlichen Einsicht, wie sie Herr Harrebomee meiner Arbeit gewidmet hat, darf es nicht befremden, dass der bereits im Jahre 1854 in ihm aufgestiegene lebendige Wunsch eines geordneten deutschen Sprichwörterschatzes durch mein Lexikon nicht befriedigt worden ist; er weiss sogar, dass dieser "levendige wensch" auch bei den Deutschen bestehen bleiben wird; denn bereits unter dem 8. October 1862, also ein paar Monate vor dem Erscheinen der ersten Lieferung meines Lexikons, die im December 1862 ausgegeben wurde, hat er von einem deutschen Schriftsteller, den er einen "bevoegd beoordeeler der duitschen Spreekwoordenliteratur" nennt, die Mittheilung erhalten, dass meine Arbeit nichts taugen kann. Und worauf gründet dieser würdige deutsche Kritiker, der a la Herodes die Kinder tödtet, ehe sie geboren sind, sein Urtheil? Der Ehrenmann schreibt an den holländischen Gelehrten, den Fünfblätter-Kritiker: "K. F. W. Wander gab 1836 einen Allgemeinen Sprichwörterschatz in einem Bande heraus, der aber nicht fortgesetzt worden ist." Nachdem derselbe nun verschiedene deutsche Sprichwörtersammler die Revue hat passiren lassen, fährt er, nach Harrebomee, im Briefe wörtlich fort: "Diese Herren (nämlich alle die Sprichwörterbearbeiter, die nicht so gründliche Sprichwörterforscher sind, wie der Briefschreiber und sein gelehrter holländischer Freund) meinen, dass alles, was in einem Buche steht, was den Titel 'Sprichwörterbuch' führt, auch ein Sprichwort sei, und die demzufolge ihren Sammlungen die Titel 'Sprichwörter' geben, damit ihre Sprüche dadurch den Charakter wirklicher Sprichwörter bekommen sollen. Bah! So kommen zahllose Aussprüche (gezegden) als Sprichwörter vor, die blos auf dem Papier standen und durch den Schreibfinger von einem Papier auf das andere übergingen. Das ist dann Vox populi! O tempora, o mores! So wird das Publikum betrogen, das leichtgläubige und arglose, nachdem diese Autoren (der scharfsinnige deutsche Beurtheiler scheint sich, wie aus einer Note des Herrn Harrebomee zu schliessen, den Witz von Au-Thoren nicht haben entgehen zu lassen) sich selber betrogen haben, und . ..." Herr Harrebomee ersetzt hier die Gedanken des deutschen "Kritikers" durch Gedankenstriche, und lässt ihn dann fortfahren: "Darin hat Wander alle übertroffen. Nicht zufrieden, dass er alles Mögliche und Unmögliche aufnimmt, vermehrt er die Masse durch eigene Erfindung, eigenes Fabrikat. Er nennt seine ipse fecit neue Sprichwörter. Das nenne ich auf der Höhe seiner Zeit stehen . ... oder in der Tiefe der Einfalt oder Unwissenheit (op de hoogte der onnozelheid)!"

Soweit theilt Herr Harrebomee das noble Schreiben seines deutschen Correspondenten mit und schliesst dann mit den Worten: "Man wird daraus leicht abnehmen können, wie wenig wir an Wander's Buch haben werden."

In einer so rühmlichen Weise haben sich ein deutscher und ein holländischer Schriftsteller vereinigt, um die Arbeit eines halben Lebens bei ihrer Geburt zu empfangen, oder vielmehr vor derselben a la Herodes zu bethlehemisiren. Der Kürze wegen will ich den deutschen nach Art unbekannter Grössen mit x, aber aus Respect mit einem grossen X bezeichnen, und zunächst Herrn Harrebomee ersuchen, zum Besten der deutschen Sprichwörterliteratur mittheilen zu wollen, welches Werk dieselbe diesem Deutschen, den er einen competenten Kritiker ("bevoegd beoordeeler") derselben nennt, zu danken hat.1 Nach Lessing kann man eine Suppe sehr gut kritisiren, ohne eine kochen zu können. Die Arbeit

1 Eben als dieser Bogen unter die Presse gehen soll, erhalte ich den dritten oder Schlussband des Harrebomee'schen Werks, und ersehe daraus, dass in Aflevering 5 en 6, S. LXXIX, der obige Wunsch erfüllt ist. Wie Her Harrebomee dort mittheilt, ist der mit ihm correspondirende Deutsche ein Herr K. Schramm, "predikant te Her bij Eimbeck in Hannover". Zum Beweise, dass er durchaus (allezins) recht gehabt, denselben einen "bevoegd beoordeeler" zu nennen, führt Herr Harrebomee an, dass dieser "predikant" Herr Schramm im Hannoverschen Magazin von 1831, Nr. 66-69, einen Artikel unter dem Titel Versuch über das (hoch- und plattdeutsche) Sprichwort verfasst und ausserdem in derselben Zeitschrift 1849, Nr. 16-20, einen zweiten Artikel über Unsere Familiennamen niedergelegt hat.
Nun, ohne Zweifel hat Herr Harrebomee "allezins" recht gehabt, seinen deutschen Freund, den "predikant" Herrn K. Schramm, der in circa dreissig Jahren die beiden erwähnten Artikel im Hannoverschen Magazin und ausserdem noch den Brief vom 8. Oct. 1862 nach Holland geschrieben, einen "bevoegd beoordeeler" der deutschen Sprichwörterliteratur zu nennen; zu beklagen ist nur, dass diese selbst von den hervorragenden Leistungen desselben nicht das Geringste weiss. Weder der Franzose Duplessis, noch der Deutsche Zacher haben eine Ahnung davon. Seit 1862 habe ich in dem Begleitwort zu jeder Lieferung gebeten, mir alles in Zeitschriften Zerstreute, die Sprichwörterliteratur betreffend, zuzusenden oder mich darauf aufmerksam zu machen; aber kein Mensch in ganz Deutschland hat sich der Leistungen des Herrn "Predikant" K. Schramm erinnert. Ich hätte gewiss das Hannoversche Magazin in das Quellenverzeichniss (II. Zeitschriften) aufgenommen, wo sich alles notirt findet, was ich erlangen konnte.
Da nun von der 1831 erschienenen reformatorischen Arbeit des Herrn K. Schramm kein Deutscher etwas weiss; da in keiner der Sprichwörterliteratur angehörenden Schrift die geringste Spur davon zu finden ist, weder Körte noch Eiselein, sogar die Deutschen Mundarten von Frommann, die das Mundartliche sehr sorgfältig aufzeichnen, sie erwähnen, so hat Herr K. Schramm sich nach Holland gewandt, sich dort das Prädicat eines "bevoegd beoordeelers" ausgewirkt und seinen 1831er "Versuch", den man nicht einmal einen längst vergessenen nennen kann, weil ihn die Sprichwörterliteratur nicht gekannt hat, wieder in Erinnerung zu bringen. Und Herr Harrebomee, der in die Einrichtung seines Werks, die im Gebrauch zuweilen in Verzweiflung bringen kann - der erste Band hat allein 8 bis 10 mit der Ueberschrift L. S. (lectori salutem) versehene Vorreden, Nachträge u. s. w. - beinahe bis zur Selbstvernarrtheit eingenommene holländische Gelehrte, hat auf Grund der erwähnten Leistungen, ohne auch nur selbst einen Blick in die deutsche Sprichwörterliteratur zu thun, Herrn K. Schramm die gute Censur ertheilt. Ich überlasse dies Verfahren dem öffentlichen Urtheil; was ich aber oben geschrieben, habe ich geschrieben.

waren. Mag Herr Harrebomée sich im holländischen Sprichwörterschatze, dem es ja nicht an derben und malerischen Bezeichnungen fehlt, den richtigen Ausdruck für sein Verfahren suchen, ein Verfahren, das eine Arbeit wie die meinige nach 20 Spalten beurtheilt, während bereits 128 vorlagen. Wollte ich selbst es überhaupt bezeichnen, ich könnte leicht einen Ausdruck wählen, dem das diplomatische Aroma fehlte.

Nach einer so gründlichen Einsicht, wie sie Herr Harrebomée meiner Arbeit gewidmet hat, darf es nicht befremden, dass der bereits im Jahre 1854 in ihm aufgestiegene lebendige Wunsch eines geordneten deutschen Sprichwörterschatzes durch mein Lexikon nicht befriedigt worden ist; er weiss sogar, dass dieser „levendige wensch“ auch bei den Deutschen bestehen bleiben wird; denn bereits unter dem 8. October 1862, also ein paar Monate vor dem Erscheinen der ersten Lieferung meines Lexikons, die im December 1862 ausgegeben wurde, hat er von einem deutschen Schriftsteller, den er einen „bevoegd beoordeeler der duitschen Spreekwoordenliteratur“ nennt, die Mittheilung erhalten, dass meine Arbeit nichts taugen kann. Und worauf gründet dieser würdige deutsche Kritiker, der à la Herodes die Kinder tödtet, ehe sie geboren sind, sein Urtheil? Der Ehrenmann schreibt an den holländischen Gelehrten, den Fünfblätter-Kritiker: „K. F. W. Wander gab 1836 einen Allgemeinen Sprichwörterschatz in einem Bande heraus, der aber nicht fortgesetzt worden ist.“ Nachdem derselbe nun verschiedene deutsche Sprichwörtersammler die Revue hat passiren lassen, fährt er, nach Harrebomée, im Briefe wörtlich fort: „Diese Herren (nämlich alle die Sprichwörterbearbeiter, die nicht so gründliche Sprichwörterforscher sind, wie der Briefschreiber und sein gelehrter holländischer Freund) meinen, dass alles, was in einem Buche steht, was den Titel 'Sprichwörterbuch' führt, auch ein Sprichwort sei, und die demzufolge ihren Sammlungen die Titel 'Sprichwörter' geben, damit ihre Sprüche dadurch den Charakter wirklicher Sprichwörter bekommen sollen. Bah! So kommen zahllose Aussprüche (gezegden) als Sprichwörter vor, die blos auf dem Papier standen und durch den Schreibfinger von einem Papier auf das andere übergingen. Das ist dann Vox populi! O tempora, o mores! So wird das Publikum betrogen, das leichtgläubige und arglose, nachdem diese Autoren (der scharfsinnige deutsche Beurtheiler scheint sich, wie aus einer Note des Herrn Harrebomée zu schliessen, den Witz von Au-Thoren nicht haben entgehen zu lassen) sich selber betrogen haben, und . ...“ Herr Harrebomée ersetzt hier die Gedanken des deutschen „Kritikers“ durch Gedankenstriche, und lässt ihn dann fortfahren: „Darin hat Wander alle übertroffen. Nicht zufrieden, dass er alles Mögliche und Unmögliche aufnimmt, vermehrt er die Masse durch eigene Erfindung, eigenes Fabrikat. Er nennt seine ipse fecit neue Sprichwörter. Das nenne ich auf der Höhe seiner Zeit stehen . ... oder in der Tiefe der Einfalt oder Unwissenheit (op de hoogte der onnozelheid)!“

Soweit theilt Herr Harrebomée das noble Schreiben seines deutschen Correspondenten mit und schliesst dann mit den Worten: „Man wird daraus leicht abnehmen können, wie wenig wir an Wander's Buch haben werden.“

In einer so rühmlichen Weise haben sich ein deutscher und ein holländischer Schriftsteller vereinigt, um die Arbeit eines halben Lebens bei ihrer Geburt zu empfangen, oder vielmehr vor derselben à la Herodes zu bethlehemisiren. Der Kürze wegen will ich den deutschen nach Art unbekannter Grössen mit x, aber aus Respect mit einem grossen X bezeichnen, und zunächst Herrn Harrebomée ersuchen, zum Besten der deutschen Sprichwörterliteratur mittheilen zu wollen, welches Werk dieselbe diesem Deutschen, den er einen competenten Kritiker („bevoegd beoordeeler“) derselben nennt, zu danken hat.1 Nach Lessing kann man eine Suppe sehr gut kritisiren, ohne eine kochen zu können. Die Arbeit

1 Eben als dieser Bogen unter die Presse gehen soll, erhalte ich den dritten oder Schlussband des Harrebomée'schen Werks, und ersehe daraus, dass in Aflevering 5 en 6, S. LXXIX, der obige Wunsch erfüllt ist. Wie Her Harrebomée dort mittheilt, ist der mit ihm correspondirende Deutsche ein Herr K. Schramm, „predikant te Her bij Eimbeck in Hannover“. Zum Beweise, dass er durchaus (allezins) recht gehabt, denselben einen „bevoegd beoordeeler“ zu nennen, führt Herr Harrebomée an, dass dieser „predikant“ Herr Schramm im Hannoverschen Magazin von 1831, Nr. 66-69, einen Artikel unter dem Titel Versuch über das (hoch- und plattdeutsche) Sprichwort verfasst und ausserdem in derselben Zeitschrift 1849, Nr. 16-20, einen zweiten Artikel über Unsere Familiennamen niedergelegt hat.
Nun, ohne Zweifel hat Herr Harrebomée „allezins“ recht gehabt, seinen deutschen Freund, den „predikant“ Herrn K. Schramm, der in circa dreissig Jahren die beiden erwähnten Artikel im Hannoverschen Magazin und ausserdem noch den Brief vom 8. Oct. 1862 nach Holland geschrieben, einen „bevoegd beoordeeler“ der deutschen Sprichwörterliteratur zu nennen; zu beklagen ist nur, dass diese selbst von den hervorragenden Leistungen desselben nicht das Geringste weiss. Weder der Franzose Duplessis, noch der Deutsche Zacher haben eine Ahnung davon. Seit 1862 habe ich in dem Begleitwort zu jeder Lieferung gebeten, mir alles in Zeitschriften Zerstreute, die Sprichwörterliteratur betreffend, zuzusenden oder mich darauf aufmerksam zu machen; aber kein Mensch in ganz Deutschland hat sich der Leistungen des Herrn „Predikant“ K. Schramm erinnert. Ich hätte gewiss das Hannoversche Magazin in das Quellenverzeichniss (II. Zeitschriften) aufgenommen, wo sich alles notirt findet, was ich erlangen konnte.
Da nun von der 1831 erschienenen reformatorischen Arbeit des Herrn K. Schramm kein Deutscher etwas weiss; da in keiner der Sprichwörterliteratur angehörenden Schrift die geringste Spur davon zu finden ist, weder Körte noch Eiselein, sogar die Deutschen Mundarten von Frommann, die das Mundartliche sehr sorgfältig aufzeichnen, sie erwähnen, so hat Herr K. Schramm sich nach Holland gewandt, sich dort das Prädicat eines „bevoegd beoordeelers“ ausgewirkt und seinen 1831er „Versuch“, den man nicht einmal einen längst vergessenen nennen kann, weil ihn die Sprichwörterliteratur nicht gekannt hat, wieder in Erinnerung zu bringen. Und Herr Harrebomée, der in die Einrichtung seines Werks, die im Gebrauch zuweilen in Verzweiflung bringen kann – der erste Band hat allein 8 bis 10 mit der Ueberschrift L. S. (lectori salutem) versehene Vorreden, Nachträge u. s. w. – beinahe bis zur Selbstvernarrtheit eingenommene holländische Gelehrte, hat auf Grund der erwähnten Leistungen, ohne auch nur selbst einen Blick in die deutsche Sprichwörterliteratur zu thun, Herrn K. Schramm die gute Censur ertheilt. Ich überlasse dies Verfahren dem öffentlichen Urtheil; was ich aber oben geschrieben, habe ich geschrieben.
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[XXVII/0025] waren. Mag Herr Harrebomée sich im holländischen Sprichwörterschatze, dem es ja nicht an derben und malerischen Bezeichnungen fehlt, den richtigen Ausdruck für sein Verfahren suchen, ein Verfahren, das eine Arbeit wie die meinige nach 20 Spalten beurtheilt, während bereits 128 vorlagen. Wollte ich selbst es überhaupt bezeichnen, ich könnte leicht einen Ausdruck wählen, dem das diplomatische Aroma fehlte. Nach einer so gründlichen Einsicht, wie sie Herr Harrebomée meiner Arbeit gewidmet hat, darf es nicht befremden, dass der bereits im Jahre 1854 in ihm aufgestiegene lebendige Wunsch eines geordneten deutschen Sprichwörterschatzes durch mein Lexikon nicht befriedigt worden ist; er weiss sogar, dass dieser „levendige wensch“ auch bei den Deutschen bestehen bleiben wird; denn bereits unter dem 8. October 1862, also ein paar Monate vor dem Erscheinen der ersten Lieferung meines Lexikons, die im December 1862 ausgegeben wurde, hat er von einem deutschen Schriftsteller, den er einen „bevoegd beoordeeler der duitschen Spreekwoordenliteratur“ nennt, die Mittheilung erhalten, dass meine Arbeit nichts taugen kann. Und worauf gründet dieser würdige deutsche Kritiker, der à la Herodes die Kinder tödtet, ehe sie geboren sind, sein Urtheil? Der Ehrenmann schreibt an den holländischen Gelehrten, den Fünfblätter-Kritiker: „K. F. W. Wander gab 1836 einen Allgemeinen Sprichwörterschatz in einem Bande heraus, der aber nicht fortgesetzt worden ist.“ Nachdem derselbe nun verschiedene deutsche Sprichwörtersammler die Revue hat passiren lassen, fährt er, nach Harrebomée, im Briefe wörtlich fort: „Diese Herren (nämlich alle die Sprichwörterbearbeiter, die nicht so gründliche Sprichwörterforscher sind, wie der Briefschreiber und sein gelehrter holländischer Freund) meinen, dass alles, was in einem Buche steht, was den Titel 'Sprichwörterbuch' führt, auch ein Sprichwort sei, und die demzufolge ihren Sammlungen die Titel 'Sprichwörter' geben, damit ihre Sprüche dadurch den Charakter wirklicher Sprichwörter bekommen sollen. Bah! So kommen zahllose Aussprüche (gezegden) als Sprichwörter vor, die blos auf dem Papier standen und durch den Schreibfinger von einem Papier auf das andere übergingen. Das ist dann Vox populi! O tempora, o mores! So wird das Publikum betrogen, das leichtgläubige und arglose, nachdem diese Autoren (der scharfsinnige deutsche Beurtheiler scheint sich, wie aus einer Note des Herrn Harrebomée zu schliessen, den Witz von Au-Thoren nicht haben entgehen zu lassen) sich selber betrogen haben, und . ...“ Herr Harrebomée ersetzt hier die Gedanken des deutschen „Kritikers“ durch Gedankenstriche, und lässt ihn dann fortfahren: „Darin hat Wander alle übertroffen. Nicht zufrieden, dass er alles Mögliche und Unmögliche aufnimmt, vermehrt er die Masse durch eigene Erfindung, eigenes Fabrikat. Er nennt seine ipse fecit neue Sprichwörter. Das nenne ich auf der Höhe seiner Zeit stehen . ... oder in der Tiefe der Einfalt oder Unwissenheit (op de hoogte der onnozelheid)!“ Soweit theilt Herr Harrebomée das noble Schreiben seines deutschen Correspondenten mit und schliesst dann mit den Worten: „Man wird daraus leicht abnehmen können, wie wenig wir an Wander's Buch haben werden.“ In einer so rühmlichen Weise haben sich ein deutscher und ein holländischer Schriftsteller vereinigt, um die Arbeit eines halben Lebens bei ihrer Geburt zu empfangen, oder vielmehr vor derselben à la Herodes zu bethlehemisiren. Der Kürze wegen will ich den deutschen nach Art unbekannter Grössen mit x, aber aus Respect mit einem grossen X bezeichnen, und zunächst Herrn Harrebomée ersuchen, zum Besten der deutschen Sprichwörterliteratur mittheilen zu wollen, welches Werk dieselbe diesem Deutschen, den er einen competenten Kritiker („bevoegd beoordeeler“) derselben nennt, zu danken hat. 1 Nach Lessing kann man eine Suppe sehr gut kritisiren, ohne eine kochen zu können. Die Arbeit 1 Eben als dieser Bogen unter die Presse gehen soll, erhalte ich den dritten oder Schlussband des Harrebomée'schen Werks, und ersehe daraus, dass in Aflevering 5 en 6, S. LXXIX, der obige Wunsch erfüllt ist. Wie Her Harrebomée dort mittheilt, ist der mit ihm correspondirende Deutsche ein Herr K. Schramm, „predikant te Her bij Eimbeck in Hannover“. Zum Beweise, dass er durchaus (allezins) recht gehabt, denselben einen „bevoegd beoordeeler“ zu nennen, führt Herr Harrebomée an, dass dieser „predikant“ Herr Schramm im Hannoverschen Magazin von 1831, Nr. 66-69, einen Artikel unter dem Titel Versuch über das (hoch- und plattdeutsche) Sprichwort verfasst und ausserdem in derselben Zeitschrift 1849, Nr. 16-20, einen zweiten Artikel über Unsere Familiennamen niedergelegt hat. Nun, ohne Zweifel hat Herr Harrebomée „allezins“ recht gehabt, seinen deutschen Freund, den „predikant“ Herrn K. Schramm, der in circa dreissig Jahren die beiden erwähnten Artikel im Hannoverschen Magazin und ausserdem noch den Brief vom 8. Oct. 1862 nach Holland geschrieben, einen „bevoegd beoordeeler“ der deutschen Sprichwörterliteratur zu nennen; zu beklagen ist nur, dass diese selbst von den hervorragenden Leistungen desselben nicht das Geringste weiss. Weder der Franzose Duplessis, noch der Deutsche Zacher haben eine Ahnung davon. Seit 1862 habe ich in dem Begleitwort zu jeder Lieferung gebeten, mir alles in Zeitschriften Zerstreute, die Sprichwörterliteratur betreffend, zuzusenden oder mich darauf aufmerksam zu machen; aber kein Mensch in ganz Deutschland hat sich der Leistungen des Herrn „Predikant“ K. Schramm erinnert. Ich hätte gewiss das Hannoversche Magazin in das Quellenverzeichniss (II. Zeitschriften) aufgenommen, wo sich alles notirt findet, was ich erlangen konnte. Da nun von der 1831 erschienenen reformatorischen Arbeit des Herrn K. Schramm kein Deutscher etwas weiss; da in keiner der Sprichwörterliteratur angehörenden Schrift die geringste Spur davon zu finden ist, weder Körte noch Eiselein, sogar die Deutschen Mundarten von Frommann, die das Mundartliche sehr sorgfältig aufzeichnen, sie erwähnen, so hat Herr K. Schramm sich nach Holland gewandt, sich dort das Prädicat eines „bevoegd beoordeelers“ ausgewirkt und seinen 1831er „Versuch“, den man nicht einmal einen längst vergessenen nennen kann, weil ihn die Sprichwörterliteratur nicht gekannt hat, wieder in Erinnerung zu bringen. Und Herr Harrebomée, der in die Einrichtung seines Werks, die im Gebrauch zuweilen in Verzweiflung bringen kann – der erste Band hat allein 8 bis 10 mit der Ueberschrift L. S. (lectori salutem) versehene Vorreden, Nachträge u. s. w. – beinahe bis zur Selbstvernarrtheit eingenommene holländische Gelehrte, hat auf Grund der erwähnten Leistungen, ohne auch nur selbst einen Blick in die deutsche Sprichwörterliteratur zu thun, Herrn K. Schramm die gute Censur ertheilt. Ich überlasse dies Verfahren dem öffentlichen Urtheil; was ich aber oben geschrieben, habe ich geschrieben.

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Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-09-18T08:54:38Z)

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Zitationshilfe: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 1. Leipzig, 1867, S. XXVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon01_1867/25>, abgerufen am 21.11.2024.