Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913.Die vorliegende kleine Schrift, Arbeiter, Arbeiterin, ist Zürich, 4. Februar 1913. Marie Walter. Das Frauenstimmrecht. Der große Philosoph des Altertums, Plato, der zu Anfang Die vorliegende kleine Schrift, Arbeiter, Arbeiterin, ist Zürich, 4. Februar 1913. Marie Walter. Das Frauenstimmrecht. Der große Philosoph des Altertums, Plato, der zu Anfang <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="[2]"/> <div type="preface"> <p><hi rendition="#in">D</hi>ie vorliegende kleine Schrift, Arbeiter, Arbeiterin, ist<lb/> für Dich. Sie will Dir die Wandlungen der Stellung<lb/> der Frau in der menschlichen Gesellschaft, wie sie sich in<lb/> langen Zeiträumen herausentwickelt hat, aufzeigen. Da-<lb/> durch soll in den weitesten Proletarierschichten Jnteresse<lb/> und Verständnis für die moderne Arbeiterinnenbewegung<lb/> und ihre Ziele geweckt und gefördert werden.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Zürich</hi>, 4. Februar 1913.</p><lb/> <p> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#b">Marie Walter.</hi> </hi> </p><lb/> </div> <div n="1"> <head>Das Frauenstimmrecht.</head><lb/> <p>Der große Philosoph des Altertums, Plato, der zu Anfang<lb/> des vierten Jahrhunderts vor Christo lebte, dankte den Göttern,<lb/> daß er als Mann und nicht als Frau geboren wurde. Der fromme<lb/> Jude betet noch heute in seiner Morgenandacht: „Gelobt seist du,<lb/> Gott, unser Herr, und Herr der Welt, der mich nicht zu einem<lb/> Weibe gemacht hat“. Die moderne Arbeiterin, die geplagte Fa-<lb/> milienmutter, die weder Lust zum Philosophieren noch Zeit zum<lb/> Beten übrig hat, seufzt unter der Last ihrer doppelten Berufs-<lb/> pflichten. Sie hadert mit dem Schicksal, das sie nicht als Mann,<lb/> sondern als Weib auf die Erde gestellt hat. Sie seufzt und hadert,<lb/> bis das unbestimmte Sehnen in ihrem Jnnern erlischt, bis die Re-<lb/> signation ihr von Natur gefühlsweiches, empfängliches Herz ab-<lb/> stumpft und hart werden läßt. Die denkgeschulte, zur Erkenntnis<lb/> ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage erweckte Proletarierin<lb/> seufzt und hadert nicht. Jm Vollbewußtsein ihres Eigenwertes,<lb/> ihres Menschtums lauscht sie mit gespannter Seele dem Flügel-<lb/> schlag der neuen, der kommenden Zeit und verfolgt mit wachsen-<lb/> dem Jnteresse die großen ökonomischen Umwälzungen, die sich in<lb/> der Vergangenheit ereignet und heute weiterhin vollziehen. Jhr<lb/> Blick, getragen, geweitet und geschärft von der durch den Sozia-<lb/> lismus vermittelten Einsicht in die Wirtschafts- und Gesellschafts-<lb/> ordnung, eilt weg von der bangen, drückenden Gegenwart in die<lb/> verheißungsvolle, lichtverklärte Zukunft, er wendet sich gleichzeitig<lb/> rückwärts, durchmißt Jahrtausende, um an Hand der Geschichte<lb/> der Menschheit, an ihren Entwicklungsstufen, immer klarer und<lb/> bewußter den Weg zu erkennen, der untrüglich vorwärts und<lb/> hinauf ins Licht der Kultur führt.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [[2]/0002]
Die vorliegende kleine Schrift, Arbeiter, Arbeiterin, ist
für Dich. Sie will Dir die Wandlungen der Stellung
der Frau in der menschlichen Gesellschaft, wie sie sich in
langen Zeiträumen herausentwickelt hat, aufzeigen. Da-
durch soll in den weitesten Proletarierschichten Jnteresse
und Verständnis für die moderne Arbeiterinnenbewegung
und ihre Ziele geweckt und gefördert werden.
Zürich, 4. Februar 1913.
Marie Walter.
Das Frauenstimmrecht.
Der große Philosoph des Altertums, Plato, der zu Anfang
des vierten Jahrhunderts vor Christo lebte, dankte den Göttern,
daß er als Mann und nicht als Frau geboren wurde. Der fromme
Jude betet noch heute in seiner Morgenandacht: „Gelobt seist du,
Gott, unser Herr, und Herr der Welt, der mich nicht zu einem
Weibe gemacht hat“. Die moderne Arbeiterin, die geplagte Fa-
milienmutter, die weder Lust zum Philosophieren noch Zeit zum
Beten übrig hat, seufzt unter der Last ihrer doppelten Berufs-
pflichten. Sie hadert mit dem Schicksal, das sie nicht als Mann,
sondern als Weib auf die Erde gestellt hat. Sie seufzt und hadert,
bis das unbestimmte Sehnen in ihrem Jnnern erlischt, bis die Re-
signation ihr von Natur gefühlsweiches, empfängliches Herz ab-
stumpft und hart werden läßt. Die denkgeschulte, zur Erkenntnis
ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage erweckte Proletarierin
seufzt und hadert nicht. Jm Vollbewußtsein ihres Eigenwertes,
ihres Menschtums lauscht sie mit gespannter Seele dem Flügel-
schlag der neuen, der kommenden Zeit und verfolgt mit wachsen-
dem Jnteresse die großen ökonomischen Umwälzungen, die sich in
der Vergangenheit ereignet und heute weiterhin vollziehen. Jhr
Blick, getragen, geweitet und geschärft von der durch den Sozia-
lismus vermittelten Einsicht in die Wirtschafts- und Gesellschafts-
ordnung, eilt weg von der bangen, drückenden Gegenwart in die
verheißungsvolle, lichtverklärte Zukunft, er wendet sich gleichzeitig
rückwärts, durchmißt Jahrtausende, um an Hand der Geschichte
der Menschheit, an ihren Entwicklungsstufen, immer klarer und
bewußter den Weg zu erkennen, der untrüglich vorwärts und
hinauf ins Licht der Kultur führt.
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(2018-04-10T14:18:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-04-10T14:18:39Z)
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