Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

ihn mir zum Begleiter erbeten, und stellte mich
einige Zeit aufmerksam auf seine Predigten, wenn
ich dann bis zum Gerichtsplatz mit anscheinender
Rührung ruhig an seiner Seite seinem Peroriren
zugehört hätte, so wollte ich ihm, in dem Augen-
blick, da ich dem Henker übergeben werden sollte,
mit beiden Händen nach der Kehle fahren und ihn
erdrosseln. Jch stellte mir freilich vor, daß man
suchen würde, mich daran zu verhindern; allein ich
hatte mich in der Kindheit an Hunden und Katzen
geübt, wie man die Daumen ansetzen mußte, um in
zwei Augenblicken Garaus zu machen. Also wollte
ich ihn auf eben diese Art packen, und ehe ich los-
gerissen würde, sollte es entweder ganz vorbei mit
ihm oder er doch nicht mehr zu retten sein. Nach
meinem Dafürhalten konnte man mir doch mehr
nicht anthun, als mir schon zuerkannt war, ich
wollte dann noch eine kurze aufzeichnens werthe Rede
halten über den Werth des erdrosselten Unterofficiers
und derer, die ihm gleichen, wollte von Geist- und
Thiermenschen handeln und den Zuhörern kürzlich
vor Augen legen, wie ich durch Erziehung und Bei-
spiele zu der letzten Gattung gebildet wurde. Das
Schlimmste, was mir widerfahren konnte, war, wie
ich meinte, zurückgeführt und zu einem noch höhern
Grad von Strafe condemnirt zu werden, welches
noch dazu mein Leben verlängert hätte, ich konnte
vielleicht meine Rede erst halten, wenn ich zum zwei-
tenmal zum Tode gesührt wurde, und sollten vor
diesem die Schmerzen des Räderns vorausgehn, so
wollte ich sie heldenmüthig dulden und mit dem
Trost in die andere Welt gehen, daß man lange und
weit und breit von Goldfritzel sprechen würde.

Dieses Vornehmen heiterte mich immer mehr
auf, je näher der Tag, ja die Stunde kam, in wel-
cher ich auf den Richtplatz geführt werden sollte. Ei-
nige Minuten vorher sagte ich, daß ich heute doch
nicht sterben würde, welches man, nachdem ich geret-
tet war, als eine Art Prophezeihung ansah, weswe-
gen man mich für einen Menschen hielt, über dessen

Werth

ihn mir zum Begleiter erbeten, und ſtellte mich
einige Zeit aufmerkſam auf ſeine Predigten, wenn
ich dann bis zum Gerichtsplatz mit anſcheinender
Ruͤhrung ruhig an ſeiner Seite ſeinem Peroriren
zugehoͤrt haͤtte, ſo wollte ich ihm, in dem Augen-
blick, da ich dem Henker uͤbergeben werden ſollte,
mit beiden Haͤnden nach der Kehle fahren und ihn
erdroſſeln. Jch ſtellte mir freilich vor, daß man
ſuchen wuͤrde, mich daran zu verhindern; allein ich
hatte mich in der Kindheit an Hunden und Katzen
geuͤbt, wie man die Daumen anſetzen mußte, um in
zwei Augenblicken Garaus zu machen. Alſo wollte
ich ihn auf eben dieſe Art packen, und ehe ich los-
geriſſen wuͤrde, ſollte es entweder ganz vorbei mit
ihm oder er doch nicht mehr zu retten ſein. Nach
meinem Dafuͤrhalten konnte man mir doch mehr
nicht anthun, als mir ſchon zuerkannt war, ich
wollte dann noch eine kurze aufzeichnens werthe Rede
halten uͤber den Werth des erdroſſelten Unterofficiers
und derer, die ihm gleichen, wollte von Geiſt- und
Thiermenſchen handeln und den Zuhoͤrern kuͤrzlich
vor Augen legen, wie ich durch Erziehung und Bei-
ſpiele zu der letzten Gattung gebildet wurde. Das
Schlimmſte, was mir widerfahren konnte, war, wie
ich meinte, zuruͤckgefuͤhrt und zu einem noch hoͤhern
Grad von Strafe condemnirt zu werden, welches
noch dazu mein Leben verlaͤngert haͤtte, ich konnte
vielleicht meine Rede erſt halten, wenn ich zum zwei-
tenmal zum Tode geſuͤhrt wurde, und ſollten vor
dieſem die Schmerzen des Raͤderns vorausgehn, ſo
wollte ich ſie heldenmuͤthig dulden und mit dem
Troſt in die andere Welt gehen, daß man lange und
weit und breit von Goldfritzel ſprechen wuͤrde.

Dieſes Vornehmen heiterte mich immer mehr
auf, je naͤher der Tag, ja die Stunde kam, in wel-
cher ich auf den Richtplatz gefuͤhrt werden ſollte. Ei-
nige Minuten vorher ſagte ich, daß ich heute doch
nicht ſterben wuͤrde, welches man, nachdem ich geret-
tet war, als eine Art Prophezeihung anſah, weswe-
gen man mich fuͤr einen Menſchen hielt, uͤber deſſen

Werth
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0486" n="482"/>
ihn mir zum Begleiter erbeten, und &#x017F;tellte mich<lb/>
einige Zeit aufmerk&#x017F;am auf &#x017F;eine Predigten, wenn<lb/>
ich dann bis zum Gerichtsplatz mit an&#x017F;cheinender<lb/>
Ru&#x0364;hrung ruhig an &#x017F;einer Seite &#x017F;einem Peroriren<lb/>
zugeho&#x0364;rt ha&#x0364;tte, &#x017F;o wollte ich ihm, in dem Augen-<lb/>
blick, da ich dem Henker u&#x0364;bergeben werden &#x017F;ollte,<lb/>
mit beiden Ha&#x0364;nden nach der Kehle fahren und ihn<lb/>
erdro&#x017F;&#x017F;eln. Jch &#x017F;tellte mir freilich vor, daß <choice><sic>mau</sic><corr>man</corr></choice><lb/>
&#x017F;uchen wu&#x0364;rde, mich daran zu verhindern; allein ich<lb/>
hatte mich in der Kindheit an Hunden und Katzen<lb/>
geu&#x0364;bt, wie man die Daumen an&#x017F;etzen mußte, um in<lb/>
zwei Augenblicken Garaus zu machen. Al&#x017F;o wollte<lb/>
ich ihn auf eben die&#x017F;e Art packen, und ehe ich los-<lb/>
geri&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde, &#x017F;ollte es entweder ganz vorbei mit<lb/>
ihm oder er doch nicht mehr zu retten &#x017F;ein. Nach<lb/>
meinem Dafu&#x0364;rhalten konnte man mir doch mehr<lb/>
nicht anthun, als mir &#x017F;chon zuerkannt war, ich<lb/>
wollte dann noch eine kurze aufzeichnens werthe Rede<lb/>
halten u&#x0364;ber den Werth des erdro&#x017F;&#x017F;elten Unterofficiers<lb/>
und derer, die ihm gleichen, wollte von Gei&#x017F;t- und<lb/>
Thiermen&#x017F;chen handeln und den Zuho&#x0364;rern ku&#x0364;rzlich<lb/>
vor Augen legen, wie ich durch Erziehung und Bei-<lb/>
&#x017F;piele zu der letzten Gattung gebildet wurde. Das<lb/>
Schlimm&#x017F;te, was mir widerfahren konnte, war, wie<lb/>
ich meinte, zuru&#x0364;ckgefu&#x0364;hrt und zu einem noch ho&#x0364;hern<lb/>
Grad von Strafe condemnirt zu werden, welches<lb/>
noch dazu mein Leben verla&#x0364;ngert ha&#x0364;tte, ich konnte<lb/>
vielleicht meine Rede er&#x017F;t halten, wenn ich zum zwei-<lb/>
tenmal zum Tode ge&#x017F;u&#x0364;hrt wurde, und &#x017F;ollten vor<lb/>
die&#x017F;em die Schmerzen des Ra&#x0364;derns vorausgehn, &#x017F;o<lb/>
wollte ich &#x017F;ie heldenmu&#x0364;thig dulden und mit dem<lb/>
Tro&#x017F;t in die andere Welt gehen, daß man lange und<lb/>
weit und breit von Goldfritzel &#x017F;prechen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;es Vornehmen heiterte mich immer mehr<lb/>
auf, je na&#x0364;her der Tag, ja die Stunde kam, in wel-<lb/>
cher ich auf den Richtplatz gefu&#x0364;hrt werden &#x017F;ollte. Ei-<lb/>
nige Minuten vorher &#x017F;agte ich, daß ich heute doch<lb/>
nicht &#x017F;terben wu&#x0364;rde, welches man, nachdem ich geret-<lb/>
tet war, als eine Art Prophezeihung an&#x017F;ah, weswe-<lb/>
gen man mich fu&#x0364;r einen Men&#x017F;chen hielt, u&#x0364;ber de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Werth</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[482/0486] ihn mir zum Begleiter erbeten, und ſtellte mich einige Zeit aufmerkſam auf ſeine Predigten, wenn ich dann bis zum Gerichtsplatz mit anſcheinender Ruͤhrung ruhig an ſeiner Seite ſeinem Peroriren zugehoͤrt haͤtte, ſo wollte ich ihm, in dem Augen- blick, da ich dem Henker uͤbergeben werden ſollte, mit beiden Haͤnden nach der Kehle fahren und ihn erdroſſeln. Jch ſtellte mir freilich vor, daß man ſuchen wuͤrde, mich daran zu verhindern; allein ich hatte mich in der Kindheit an Hunden und Katzen geuͤbt, wie man die Daumen anſetzen mußte, um in zwei Augenblicken Garaus zu machen. Alſo wollte ich ihn auf eben dieſe Art packen, und ehe ich los- geriſſen wuͤrde, ſollte es entweder ganz vorbei mit ihm oder er doch nicht mehr zu retten ſein. Nach meinem Dafuͤrhalten konnte man mir doch mehr nicht anthun, als mir ſchon zuerkannt war, ich wollte dann noch eine kurze aufzeichnens werthe Rede halten uͤber den Werth des erdroſſelten Unterofficiers und derer, die ihm gleichen, wollte von Geiſt- und Thiermenſchen handeln und den Zuhoͤrern kuͤrzlich vor Augen legen, wie ich durch Erziehung und Bei- ſpiele zu der letzten Gattung gebildet wurde. Das Schlimmſte, was mir widerfahren konnte, war, wie ich meinte, zuruͤckgefuͤhrt und zu einem noch hoͤhern Grad von Strafe condemnirt zu werden, welches noch dazu mein Leben verlaͤngert haͤtte, ich konnte vielleicht meine Rede erſt halten, wenn ich zum zwei- tenmal zum Tode geſuͤhrt wurde, und ſollten vor dieſem die Schmerzen des Raͤderns vorausgehn, ſo wollte ich ſie heldenmuͤthig dulden und mit dem Troſt in die andere Welt gehen, daß man lange und weit und breit von Goldfritzel ſprechen wuͤrde. Dieſes Vornehmen heiterte mich immer mehr auf, je naͤher der Tag, ja die Stunde kam, in wel- cher ich auf den Richtplatz gefuͤhrt werden ſollte. Ei- nige Minuten vorher ſagte ich, daß ich heute doch nicht ſterben wuͤrde, welches man, nachdem ich geret- tet war, als eine Art Prophezeihung anſah, weswe- gen man mich fuͤr einen Menſchen hielt, uͤber deſſen Werth

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/486
Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/486>, abgerufen am 22.11.2024.