wie konnte mir also je reine, achtungsvolle Zärt- lichkeit in den Sinn kommen? Unfähig diese zu empfinden, in der Meinung, daß es mich beschä- men würde, wahre Anhänglichkeit und Hoch- schätzung an ein Frauen[zi]mmer zu verschwenden, hätte mir ein Engel in weiblicher Gestalt erschei- nen können, ohne daß ich mehr für ihn empfun- den hätte, als was ich bei einer hübschen Buhl- schwester empfand. Die Bücher, welche ich las, bestärkten mich in diesem System immer mehr, hörte oder las ich von tugendhaften Mädchen und Weibern, so hielt ich es für Fabel und Comödie.
Sonach dachte ich von dem Augenblick an, als ich Dorothea Müllerinn sah, nichts, als daß der Besitz dieses sechszehnjährigen Mädchens füß sein müsse, daß es der Mühe und der Kosten lohnte, sie, die noch ganz unwissend und blöde schien, zu unterrichten.
Der erste Schritt bey solchem Geschäfte, mußte immer die Vekanntschaft mit den Verwandten der Mädchen sein; auch hier machte ich mir bey Dor- chens Tante, einer ehrbaren Predigers-Wittwe, einen Bewerb, stellte mich gleichfalls sehr ehrbar, und fand Gelegenheit mich zu empfehlen. Nur der Wunsch, in dem Hause einer so guten und honetten Frau zuweilen einige Stunden hinzubrin-
gen,
wie konnte mir alſo je reine, achtungsvolle Zaͤrt- lichkeit in den Sinn kommen? Unfaͤhig dieſe zu empfinden, in der Meinung, daß es mich beſchaͤ- men wuͤrde, wahre Anhaͤnglichkeit und Hoch- ſchaͤtzung an ein Frauen[zi]mmer zu verſchwenden, haͤtte mir ein Engel in weiblicher Geſtalt erſchei- nen koͤnnen, ohne daß ich mehr fuͤr ihn empfun- den haͤtte, als was ich bei einer huͤbſchen Buhl- ſchweſter empfand. Die Buͤcher, welche ich las, beſtaͤrkten mich in dieſem Syſtem immer mehr, hoͤrte oder las ich von tugendhaften Maͤdchen und Weibern, ſo hielt ich es fuͤr Fabel und Comoͤdie.
Sonach dachte ich von dem Augenblick an, als ich Dorothea Muͤllerinn ſah, nichts, als daß der Beſitz dieſes ſechszehnjaͤhrigen Maͤdchens fuͤß ſein muͤſſe, daß es der Muͤhe und der Koſten lohnte, ſie, die noch ganz unwiſſend und bloͤde ſchien, zu unterrichten.
Der erſte Schritt bey ſolchem Geſchaͤfte, mußte immer die Vekanntſchaft mit den Verwandten der Maͤdchen ſein; auch hier machte ich mir bey Dor- chens Tante, einer ehrbaren Predigers-Wittwe, einen Bewerb, ſtellte mich gleichfalls ſehr ehrbar, und fand Gelegenheit mich zu empfehlen. Nur der Wunſch, in dem Hauſe einer ſo guten und honetten Frau zuweilen einige Stunden hinzubrin-
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wie konnte mir alſo je reine, achtungsvolle Zaͤrt-
lichkeit in den Sinn kommen? Unfaͤhig dieſe zu
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men wuͤrde, wahre Anhaͤnglichkeit und Hoch-
ſchaͤtzung an ein Frauenzimmer zu verſchwenden,
haͤtte mir ein Engel in weiblicher Geſtalt erſchei-
nen koͤnnen, ohne daß ich mehr fuͤr ihn empfun-
den haͤtte, als was ich bei einer huͤbſchen Buhl-
ſchweſter empfand. Die Buͤcher, welche ich las,
beſtaͤrkten mich in dieſem Syſtem immer mehr,
hoͤrte oder las ich von tugendhaften Maͤdchen und
Weibern, ſo hielt ich es fuͤr Fabel und Comoͤdie.
Sonach dachte ich von dem Augenblick an, als
ich Dorothea Muͤllerinn ſah, nichts, als daß der
Beſitz dieſes ſechszehnjaͤhrigen Maͤdchens fuͤß ſein
muͤſſe, daß es der Muͤhe und der Koſten lohnte,
ſie, die noch ganz unwiſſend und bloͤde ſchien, zu
unterrichten.
Der erſte Schritt bey ſolchem Geſchaͤfte, mußte
immer die Vekanntſchaft mit den Verwandten der
Maͤdchen ſein; auch hier machte ich mir bey Dor-
chens Tante, einer ehrbaren Predigers-Wittwe,
einen Bewerb, ſtellte mich gleichfalls ſehr ehrbar,
und fand Gelegenheit mich zu empfehlen. Nur
der Wunſch, in dem Hauſe einer ſo guten und
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/316>, abgerufen am 22.11.2024.
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