lich vernachläßigte, oder gar ihr Verdruß machte; so ward ihr von allen übel begegnet.
Diese meine Schwester verdiente es würklich, von Leuten unsers Gelichters verfolgt zu werden, da sie so einfältig gut und sanft war, nie etwas bö- ses that, sich durch Fleiß, Ordnung und Gehor- sam bei der Mutter, durch Nachgiebigkeit und Ge- sälligkeit bei mir, und durch Duldsamkeit alles dessen, was ihr wiederfuhr, das Mitleiden und die Liebe fremder Personen zuzog, und so uns still- schweigend anklagte. Das dadurch verdiente Lei- den, wozu wir sie immer mehr verurtheilten, be- wog endlich, wie es meine Leser weiterhin erfahren werden, einen Freund meines seligen Vaters, sich ihrer anzunehmen, und ihr mehrere Jahre hindurch außer dem mütterlichen Hause ein besseres Schick- sal zu verschaffen. Da ich mich bei meinen Lesern beliebt zu machen suche, wollte ich, durch die vor- läufige Ankündigung von Madelons Befreiung, ihr präsumirtes Mitleiden mit dem Zustand dieses Mädchens etwas erleichtern.
Herr Null, der mit allen Gaben eines Schmeich- lers, und mit dem festen Vorsatz, sie mit gehöri- ger Aufmerksamkeit in Uebung zu setzen, in unser Haus kam, befaßte sich so wenig als andre mit dem Schutz für meine Schwester, er gab vielmehr mei-
ner
lich vernachlaͤßigte, oder gar ihr Verdruß machte; ſo ward ihr von allen uͤbel begegnet.
Dieſe meine Schweſter verdiente es wuͤrklich, von Leuten unſers Gelichters verfolgt zu werden, da ſie ſo einfaͤltig gut und ſanft war, nie etwas boͤ- ſes that, ſich durch Fleiß, Ordnung und Gehor- ſam bei der Mutter, durch Nachgiebigkeit und Ge- ſaͤlligkeit bei mir, und durch Duldſamkeit alles deſſen, was ihr wiederfuhr, das Mitleiden und die Liebe fremder Perſonen zuzog, und ſo uns ſtill- ſchweigend anklagte. Das dadurch verdiente Lei- den, wozu wir ſie immer mehr verurtheilten, be- wog endlich, wie es meine Leſer weiterhin erfahren werden, einen Freund meines ſeligen Vaters, ſich ihrer anzunehmen, und ihr mehrere Jahre hindurch außer dem muͤtterlichen Hauſe ein beſſeres Schick- ſal zu verſchaffen. Da ich mich bei meinen Leſern beliebt zu machen ſuche, wollte ich, durch die vor- laͤufige Ankuͤndigung von Madelons Befreiung, ihr praͤſumirtes Mitleiden mit dem Zuſtand dieſes Maͤdchens etwas erleichtern.
Herr Null, der mit allen Gaben eines Schmeich- lers, und mit dem feſten Vorſatz, ſie mit gehoͤri- ger Aufmerkſamkeit in Uebung zu ſetzen, in unſer Haus kam, befaßte ſich ſo wenig als andre mit dem Schutz fuͤr meine Schweſter, er gab vielmehr mei-
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lich vernachlaͤßigte, oder gar ihr Verdruß machte;
ſo ward ihr von allen uͤbel begegnet.
Dieſe meine Schweſter verdiente es wuͤrklich,
von Leuten unſers Gelichters verfolgt zu werden,
da ſie ſo einfaͤltig gut und ſanft war, nie etwas boͤ-
ſes that, ſich durch Fleiß, Ordnung und Gehor-
ſam bei der Mutter, durch Nachgiebigkeit und Ge-
ſaͤlligkeit bei mir, und durch Duldſamkeit alles
deſſen, was ihr wiederfuhr, das Mitleiden und die
Liebe fremder Perſonen zuzog, und ſo uns ſtill-
ſchweigend anklagte. Das dadurch verdiente Lei-
den, wozu wir ſie immer mehr verurtheilten, be-
wog endlich, wie es meine Leſer weiterhin erfahren
werden, einen Freund meines ſeligen Vaters, ſich
ihrer anzunehmen, und ihr mehrere Jahre hindurch
außer dem muͤtterlichen Hauſe ein beſſeres Schick-
ſal zu verſchaffen. Da ich mich bei meinen Leſern
beliebt zu machen ſuche, wollte ich, durch die vor-
laͤufige Ankuͤndigung von Madelons Befreiung,
ihr praͤſumirtes Mitleiden mit dem Zuſtand dieſes
Maͤdchens etwas erleichtern.
Herr Null, der mit allen Gaben eines Schmeich-
lers, und mit dem feſten Vorſatz, ſie mit gehoͤri-
ger Aufmerkſamkeit in Uebung zu ſetzen, in unſer
Haus kam, befaßte ſich ſo wenig als andre mit dem
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Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/102>, abgerufen am 22.11.2024.
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