Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

vorzuholen. Während er ihnen einem nach dem anderen feierlich den ersten Versorgerkuß gab, wischte die Meierin wiederholt mit der Schürze über die Augen und sagte zuletzt, mit einem Blick auf die saubere Kinderreihe: Ihr seid eine brave Mutter. Gott segne Euch! --

Und Euch! antwortete die Wittwe. Ich wird' noch oft Euren Rath brauchen. Seid mir eine treue Schwester!

Wie sich dergleichen sagen, hören, ansehen ließe, ohne endlich vom Händedrücken zum Kusse zu führen, ist nicht wohl abzusehen, und so kam denn auch richtig dieses beste Bundessiegel zu Stande. Daß auch der Küster seine Schwägerin küßte, versteht sich am Rande; sie reichte ihm selbst den Mund hin, vielleicht um der Frau Anna einen Gefälligkeitsdienst zu leisten, denn jetzt erst erhielt auch sie den feierlichen Weihekuß. Dies waren des Küsters erste Wagnisse, und wir haben keinen Grund, ihm zu mißtrauen, wenn er in seinen Denkwürdigkeiten versichert, daß er erst am Hochzeittage den zweiten Kuß erbat und erhielt.

Was ihm über das Warnungszeichen hinweg half, ist nur andeutungsweise ausgesprochen. Es scheint, daß er noch an jenem Verlobungstage, als die Schwägerin endlich nicht mehr bleiben zu können erklärte, sich an den Kammerschlüssel erinnerte und ihre Meinung über die Bedeutung dieses Warnungszeichens erfragte, worauf die Meierin, auf die künftige Frau Küsterin deutend, erwi-

vorzuholen. Während er ihnen einem nach dem anderen feierlich den ersten Versorgerkuß gab, wischte die Meierin wiederholt mit der Schürze über die Augen und sagte zuletzt, mit einem Blick auf die saubere Kinderreihe: Ihr seid eine brave Mutter. Gott segne Euch! —

Und Euch! antwortete die Wittwe. Ich wird' noch oft Euren Rath brauchen. Seid mir eine treue Schwester!

Wie sich dergleichen sagen, hören, ansehen ließe, ohne endlich vom Händedrücken zum Kusse zu führen, ist nicht wohl abzusehen, und so kam denn auch richtig dieses beste Bundessiegel zu Stande. Daß auch der Küster seine Schwägerin küßte, versteht sich am Rande; sie reichte ihm selbst den Mund hin, vielleicht um der Frau Anna einen Gefälligkeitsdienst zu leisten, denn jetzt erst erhielt auch sie den feierlichen Weihekuß. Dies waren des Küsters erste Wagnisse, und wir haben keinen Grund, ihm zu mißtrauen, wenn er in seinen Denkwürdigkeiten versichert, daß er erst am Hochzeittage den zweiten Kuß erbat und erhielt.

Was ihm über das Warnungszeichen hinweg half, ist nur andeutungsweise ausgesprochen. Es scheint, daß er noch an jenem Verlobungstage, als die Schwägerin endlich nicht mehr bleiben zu können erklärte, sich an den Kammerschlüssel erinnerte und ihre Meinung über die Bedeutung dieses Warnungszeichens erfragte, worauf die Meierin, auf die künftige Frau Küsterin deutend, erwi-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="7">
        <p><pb facs="#f0094"/>
vorzuholen.      Während er ihnen einem nach dem anderen feierlich den ersten Versorgerkuß gab, wischte die      Meierin wiederholt mit der Schürze über die Augen und sagte zuletzt, mit einem Blick auf die      saubere Kinderreihe: Ihr seid eine brave Mutter. Gott segne Euch! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Und Euch! antwortete die Wittwe. Ich wird' noch oft Euren Rath brauchen. Seid mir eine treue      Schwester!</p><lb/>
        <p>Wie sich dergleichen sagen, hören, ansehen ließe, ohne endlich vom Händedrücken zum Kusse zu      führen, ist nicht wohl abzusehen, und so kam denn auch richtig dieses beste Bundessiegel zu      Stande. Daß auch der Küster seine Schwägerin küßte, versteht sich am Rande; sie reichte ihm      selbst den Mund hin, vielleicht um der Frau Anna einen Gefälligkeitsdienst zu leisten, denn      jetzt erst erhielt auch sie den feierlichen Weihekuß. Dies waren des Küsters erste Wagnisse,      und wir haben keinen Grund, ihm zu mißtrauen, wenn er in seinen Denkwürdigkeiten versichert,      daß er erst am Hochzeittage den zweiten Kuß erbat und erhielt.</p><lb/>
        <p>Was ihm über das Warnungszeichen hinweg half, ist nur andeutungsweise ausgesprochen. Es      scheint, daß er noch an jenem Verlobungstage, als die Schwägerin endlich nicht mehr bleiben zu      können erklärte, sich an den Kammerschlüssel erinnerte und ihre Meinung über die Bedeutung      dieses Warnungszeichens erfragte, worauf die Meierin, auf die künftige Frau Küsterin deutend,      erwi-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] vorzuholen. Während er ihnen einem nach dem anderen feierlich den ersten Versorgerkuß gab, wischte die Meierin wiederholt mit der Schürze über die Augen und sagte zuletzt, mit einem Blick auf die saubere Kinderreihe: Ihr seid eine brave Mutter. Gott segne Euch! — Und Euch! antwortete die Wittwe. Ich wird' noch oft Euren Rath brauchen. Seid mir eine treue Schwester! Wie sich dergleichen sagen, hören, ansehen ließe, ohne endlich vom Händedrücken zum Kusse zu führen, ist nicht wohl abzusehen, und so kam denn auch richtig dieses beste Bundessiegel zu Stande. Daß auch der Küster seine Schwägerin küßte, versteht sich am Rande; sie reichte ihm selbst den Mund hin, vielleicht um der Frau Anna einen Gefälligkeitsdienst zu leisten, denn jetzt erst erhielt auch sie den feierlichen Weihekuß. Dies waren des Küsters erste Wagnisse, und wir haben keinen Grund, ihm zu mißtrauen, wenn er in seinen Denkwürdigkeiten versichert, daß er erst am Hochzeittage den zweiten Kuß erbat und erhielt. Was ihm über das Warnungszeichen hinweg half, ist nur andeutungsweise ausgesprochen. Es scheint, daß er noch an jenem Verlobungstage, als die Schwägerin endlich nicht mehr bleiben zu können erklärte, sich an den Kammerschlüssel erinnerte und ihre Meinung über die Bedeutung dieses Warnungszeichens erfragte, worauf die Meierin, auf die künftige Frau Küsterin deutend, erwi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/94
Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/94>, abgerufen am 23.11.2024.