Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gab. Die Augen des Küsters überliefen die gerichtlichen Bekanntmachungen. Sie suchten nichts, blieben aber durch den magischen Reiz gefesselt, den ein bedrucktes Stück Papier auf Leute ausübt, welche wenig Derartiges zu lesen bekommen und doch die Fähigkeit dazu nicht verlernen möchten. Da wurde ein Großbauerhof zum Verkauf angeboten, dessen Zubehör in der Berechtigung bestand, jährlich vierzehn Malter nebst zwei Schock Waasen-Brennholz zu beanspruchen. Da gab es eine Brennerei zu pachten, bei welcher forstzinsfreies Bauholz geliefert wurde. Da sollte ein Großkothhof mit nicht weniger als 87 3/4 Ruthen Gartenland versteigert werden. Zwei Wohnhäuser wurden ausgeboten, bei denen ein Antheil an den sogenannten achtundzwanziger Wiesen abfiel. Da gab es Edictalvorladungen, Concurseröffnungen, Präclusivbescheide, Steckbriefe.

Dem stillen Bewohner der Küsterei schwindelte es vor den Augen, wie allemal, wenn er in eine Zeitung sah und die Weltgeschichte sich in ihren Nächstliegenden mikroskopischen Aeußerungen an ihm vorüber bewegte. Und er hatte sich aus seiner unbemerkten Klause hinaus begeben wollen, hatte auf Unternehmungen gesonnen, die sich mit dem weitsehendsten Blick nicht überschauen ließen, die seinen Namen vielleicht über Jahr und Tag in dieses selbe Staatsblatt bringen und ihn aus seinem sichern Hafen auf die stürmische See des lauten Lebens hinaus verschlagen konnten! Das Glas Mumme steigerte die Bilder, welche vor seiner Phantasie aufstiegen, ins Un-

gab. Die Augen des Küsters überliefen die gerichtlichen Bekanntmachungen. Sie suchten nichts, blieben aber durch den magischen Reiz gefesselt, den ein bedrucktes Stück Papier auf Leute ausübt, welche wenig Derartiges zu lesen bekommen und doch die Fähigkeit dazu nicht verlernen möchten. Da wurde ein Großbauerhof zum Verkauf angeboten, dessen Zubehör in der Berechtigung bestand, jährlich vierzehn Malter nebst zwei Schock Waasen-Brennholz zu beanspruchen. Da gab es eine Brennerei zu pachten, bei welcher forstzinsfreies Bauholz geliefert wurde. Da sollte ein Großkothhof mit nicht weniger als 87 3/4 Ruthen Gartenland versteigert werden. Zwei Wohnhäuser wurden ausgeboten, bei denen ein Antheil an den sogenannten achtundzwanziger Wiesen abfiel. Da gab es Edictalvorladungen, Concurseröffnungen, Präclusivbescheide, Steckbriefe.

Dem stillen Bewohner der Küsterei schwindelte es vor den Augen, wie allemal, wenn er in eine Zeitung sah und die Weltgeschichte sich in ihren Nächstliegenden mikroskopischen Aeußerungen an ihm vorüber bewegte. Und er hatte sich aus seiner unbemerkten Klause hinaus begeben wollen, hatte auf Unternehmungen gesonnen, die sich mit dem weitsehendsten Blick nicht überschauen ließen, die seinen Namen vielleicht über Jahr und Tag in dieses selbe Staatsblatt bringen und ihn aus seinem sichern Hafen auf die stürmische See des lauten Lebens hinaus verschlagen konnten! Das Glas Mumme steigerte die Bilder, welche vor seiner Phantasie aufstiegen, ins Un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0025"/>
gab. Die Augen des Küsters überliefen die gerichtlichen Bekanntmachungen. Sie      suchten nichts, blieben aber durch den magischen Reiz gefesselt, den ein bedrucktes Stück      Papier auf Leute ausübt, welche wenig Derartiges zu lesen bekommen und doch die Fähigkeit dazu      nicht verlernen möchten. Da wurde ein Großbauerhof zum Verkauf angeboten, dessen Zubehör in der      Berechtigung bestand, jährlich vierzehn Malter nebst zwei Schock Waasen-Brennholz zu      beanspruchen. Da gab es eine Brennerei zu pachten, bei welcher forstzinsfreies Bauholz      geliefert wurde. Da sollte ein Großkothhof mit nicht weniger als 87 3/4 Ruthen Gartenland      versteigert werden. Zwei Wohnhäuser wurden ausgeboten, bei denen ein Antheil an den sogenannten      achtundzwanziger Wiesen abfiel. Da gab es Edictalvorladungen, Concurseröffnungen,      Präclusivbescheide, Steckbriefe.</p><lb/>
        <p>Dem stillen Bewohner der Küsterei schwindelte es vor den Augen, wie allemal, wenn er in eine      Zeitung sah und die Weltgeschichte sich in ihren Nächstliegenden mikroskopischen Aeußerungen an      ihm vorüber bewegte. Und er hatte sich aus seiner unbemerkten Klause hinaus begeben wollen,      hatte auf Unternehmungen gesonnen, die sich mit dem weitsehendsten Blick nicht überschauen      ließen, die seinen Namen vielleicht über Jahr und Tag in dieses selbe Staatsblatt bringen und      ihn aus seinem sichern Hafen auf die stürmische See des lauten Lebens hinaus verschlagen      konnten! Das Glas Mumme steigerte die Bilder, welche vor seiner Phantasie aufstiegen, ins      Un-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] gab. Die Augen des Küsters überliefen die gerichtlichen Bekanntmachungen. Sie suchten nichts, blieben aber durch den magischen Reiz gefesselt, den ein bedrucktes Stück Papier auf Leute ausübt, welche wenig Derartiges zu lesen bekommen und doch die Fähigkeit dazu nicht verlernen möchten. Da wurde ein Großbauerhof zum Verkauf angeboten, dessen Zubehör in der Berechtigung bestand, jährlich vierzehn Malter nebst zwei Schock Waasen-Brennholz zu beanspruchen. Da gab es eine Brennerei zu pachten, bei welcher forstzinsfreies Bauholz geliefert wurde. Da sollte ein Großkothhof mit nicht weniger als 87 3/4 Ruthen Gartenland versteigert werden. Zwei Wohnhäuser wurden ausgeboten, bei denen ein Antheil an den sogenannten achtundzwanziger Wiesen abfiel. Da gab es Edictalvorladungen, Concurseröffnungen, Präclusivbescheide, Steckbriefe. Dem stillen Bewohner der Küsterei schwindelte es vor den Augen, wie allemal, wenn er in eine Zeitung sah und die Weltgeschichte sich in ihren Nächstliegenden mikroskopischen Aeußerungen an ihm vorüber bewegte. Und er hatte sich aus seiner unbemerkten Klause hinaus begeben wollen, hatte auf Unternehmungen gesonnen, die sich mit dem weitsehendsten Blick nicht überschauen ließen, die seinen Namen vielleicht über Jahr und Tag in dieses selbe Staatsblatt bringen und ihn aus seinem sichern Hafen auf die stürmische See des lauten Lebens hinaus verschlagen konnten! Das Glas Mumme steigerte die Bilder, welche vor seiner Phantasie aufstiegen, ins Un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/25
Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/25>, abgerufen am 24.11.2024.