Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.botenen Wild in seinem Geistesgehäge zählten und nicht regelrecht "gestellt" wurden. Aber die Ueberlegenheit, die Unerreichbarkeit der Frau Dorothee war ihm gleich nach den ersten beiden Salven so unerschütterlich zum Bewußtsein gekommen, daß er sich durchaus unberechtigt fühlte, seine Wünsche nach so fernem Ziele schweifen zu lassen. Vielleicht auch mischte sich in dieses Verzichten ein Gefühl, von dem er nichts ahnte und das recht füglich unter dem Geschützfeuer der Frau Wirthin, ihm unbewußt, erwacht sein konnte -- eine Ahnung nämlich von der untergeordneten Stellung, welche der Freier einer so bedeutenden Frau auszufüllen haben würde. Er hatte nie so sehr die eigene Unfähigkeit gespürt, neben einer beredt ausgesprochenen Meinung noch selbst eine Meinung zu haben. Sprach Frau Dorothee, so sagte Alles in ihm ohne Unterlaß Amen, Amen! und ohne daß ihm dieses weibliche Uebergewicht klar war, kam er sich doch noch mehr seinem eigentlichen Lebenselement entfremdet vor, als das jemals früher der Fall gewesen war. Die Wirthin hatte sich entfernt, um der draußen am Küchenfenster lauschenden und bei einer Kopfwendung ihr zu Gesicht gekommenen Magd eine Schelle zu verabreichen, und der Küster war im Begriff, einem dunklen Fluchtdrange nachzugeben, als sein Blick auf ein Exemplar der Braunschweigischen Anzeigen fiel, ein Blatt, das nach dreitägigem Ausliegen in der Gaststube für die Honoratiores von Hedeper, welche allabendlich in der Ofenecke zum Tarock zusammenkamen, die Fidibusse ab- botenen Wild in seinem Geistesgehäge zählten und nicht regelrecht „gestellt“ wurden. Aber die Ueberlegenheit, die Unerreichbarkeit der Frau Dorothee war ihm gleich nach den ersten beiden Salven so unerschütterlich zum Bewußtsein gekommen, daß er sich durchaus unberechtigt fühlte, seine Wünsche nach so fernem Ziele schweifen zu lassen. Vielleicht auch mischte sich in dieses Verzichten ein Gefühl, von dem er nichts ahnte und das recht füglich unter dem Geschützfeuer der Frau Wirthin, ihm unbewußt, erwacht sein konnte — eine Ahnung nämlich von der untergeordneten Stellung, welche der Freier einer so bedeutenden Frau auszufüllen haben würde. Er hatte nie so sehr die eigene Unfähigkeit gespürt, neben einer beredt ausgesprochenen Meinung noch selbst eine Meinung zu haben. Sprach Frau Dorothee, so sagte Alles in ihm ohne Unterlaß Amen, Amen! und ohne daß ihm dieses weibliche Uebergewicht klar war, kam er sich doch noch mehr seinem eigentlichen Lebenselement entfremdet vor, als das jemals früher der Fall gewesen war. Die Wirthin hatte sich entfernt, um der draußen am Küchenfenster lauschenden und bei einer Kopfwendung ihr zu Gesicht gekommenen Magd eine Schelle zu verabreichen, und der Küster war im Begriff, einem dunklen Fluchtdrange nachzugeben, als sein Blick auf ein Exemplar der Braunschweigischen Anzeigen fiel, ein Blatt, das nach dreitägigem Ausliegen in der Gaststube für die Honoratiores von Hedeper, welche allabendlich in der Ofenecke zum Tarock zusammenkamen, die Fidibusse ab- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0024"/> botenen Wild in seinem Geistesgehäge zählten und nicht regelrecht „gestellt“ wurden. Aber die Ueberlegenheit, die Unerreichbarkeit der Frau Dorothee war ihm gleich nach den ersten beiden Salven so unerschütterlich zum Bewußtsein gekommen, daß er sich durchaus unberechtigt fühlte, seine Wünsche nach so fernem Ziele schweifen zu lassen. Vielleicht auch mischte sich in dieses Verzichten ein Gefühl, von dem er nichts ahnte und das recht füglich unter dem Geschützfeuer der Frau Wirthin, ihm unbewußt, erwacht sein konnte — eine Ahnung nämlich von der untergeordneten Stellung, welche der Freier einer so bedeutenden Frau auszufüllen haben würde. Er hatte nie so sehr die eigene Unfähigkeit gespürt, neben einer beredt ausgesprochenen Meinung noch selbst eine Meinung zu haben. Sprach Frau Dorothee, so sagte Alles in ihm ohne Unterlaß Amen, Amen! und ohne daß ihm dieses weibliche Uebergewicht klar war, kam er sich doch noch mehr seinem eigentlichen Lebenselement entfremdet vor, als das jemals früher der Fall gewesen war.</p><lb/> <p>Die Wirthin hatte sich entfernt, um der draußen am Küchenfenster lauschenden und bei einer Kopfwendung ihr zu Gesicht gekommenen Magd eine Schelle zu verabreichen, und der Küster war im Begriff, einem dunklen Fluchtdrange nachzugeben, als sein Blick auf ein Exemplar der Braunschweigischen Anzeigen fiel, ein Blatt, das nach dreitägigem Ausliegen in der Gaststube für die Honoratiores von Hedeper, welche allabendlich in der Ofenecke zum Tarock zusammenkamen, die Fidibusse ab-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
botenen Wild in seinem Geistesgehäge zählten und nicht regelrecht „gestellt“ wurden. Aber die Ueberlegenheit, die Unerreichbarkeit der Frau Dorothee war ihm gleich nach den ersten beiden Salven so unerschütterlich zum Bewußtsein gekommen, daß er sich durchaus unberechtigt fühlte, seine Wünsche nach so fernem Ziele schweifen zu lassen. Vielleicht auch mischte sich in dieses Verzichten ein Gefühl, von dem er nichts ahnte und das recht füglich unter dem Geschützfeuer der Frau Wirthin, ihm unbewußt, erwacht sein konnte — eine Ahnung nämlich von der untergeordneten Stellung, welche der Freier einer so bedeutenden Frau auszufüllen haben würde. Er hatte nie so sehr die eigene Unfähigkeit gespürt, neben einer beredt ausgesprochenen Meinung noch selbst eine Meinung zu haben. Sprach Frau Dorothee, so sagte Alles in ihm ohne Unterlaß Amen, Amen! und ohne daß ihm dieses weibliche Uebergewicht klar war, kam er sich doch noch mehr seinem eigentlichen Lebenselement entfremdet vor, als das jemals früher der Fall gewesen war.
Die Wirthin hatte sich entfernt, um der draußen am Küchenfenster lauschenden und bei einer Kopfwendung ihr zu Gesicht gekommenen Magd eine Schelle zu verabreichen, und der Küster war im Begriff, einem dunklen Fluchtdrange nachzugeben, als sein Blick auf ein Exemplar der Braunschweigischen Anzeigen fiel, ein Blatt, das nach dreitägigem Ausliegen in der Gaststube für die Honoratiores von Hedeper, welche allabendlich in der Ofenecke zum Tarock zusammenkamen, die Fidibusse ab-
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Zitationshilfe: | Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/24>, abgerufen am 16.02.2025. |