Sieh! das Sehnen, das unaussprechliche Sehnen in meiner Brust kannst du nicht begreifen! Auf dem Gipfel eines hohen Berges lieg' ich halbe Tage lang .... unter mir die Erde mit ihren Wäldern, Wegen, Bergen und Dörfern, so rein, so keusch, die ewig junge, liebende! der blaue Himmel über mir! ... die fernen Berge so wunderzart in blassen Duft gehaucht .... die Vergangenheit wie ein wei- nender Engel, mit ihrem lieben Munde mir die Wangen küssend ... all' ihre Bilder und Farben ... die Zukunft im Spiegel meiner Ahnung, wie ein Regenbogen in den sonnenhellen Thränen meiner Wehmuth glänzend ... da lieg' ich, nur so ein kleines Männchen! und doch meine Wünsche, mei- nen wundgeweinten Blick von den ragenden Höhen hinüber streckend in die ungeheuern Fernen, wo sie lebt, die Liebe, Gute .... ahnend, durchschauert
Phaethon an Theodor.
Sieh! das Sehnen, das unausſprechliche Sehnen in meiner Bruſt kannſt du nicht begreifen! Auf dem Gipfel eines hohen Berges lieg’ ich halbe Tage lang .... unter mir die Erde mit ihren Waͤldern, Wegen, Bergen und Doͤrfern, ſo rein, ſo keuſch, die ewig junge, liebende! der blaue Himmel uͤber mir! … die fernen Berge ſo wunderzart in blaſſen Duft gehaucht .... die Vergangenheit wie ein wei- nender Engel, mit ihrem lieben Munde mir die Wangen kuͤſſend … all’ ihre Bilder und Farben … die Zukunft im Spiegel meiner Ahnung, wie ein Regenbogen in den ſonnenhellen Thraͤnen meiner Wehmuth glaͤnzend … da lieg’ ich, nur ſo ein kleines Maͤnnchen! und doch meine Wuͤnſche, mei- nen wundgeweinten Blick von den ragenden Hoͤhen hinuͤber ſtreckend in die ungeheuern Fernen, wo ſie lebt, die Liebe, Gute .... ahnend, durchſchauert
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Phaethon an Theodor.
Sieh! das Sehnen, das unausſprechliche Sehnen
in meiner Bruſt kannſt du nicht begreifen! Auf
dem Gipfel eines hohen Berges lieg’ ich halbe Tage
lang .... unter mir die Erde mit ihren Waͤldern,
Wegen, Bergen und Doͤrfern, ſo rein, ſo keuſch,
die ewig junge, liebende! der blaue Himmel uͤber
mir! … die fernen Berge ſo wunderzart in blaſſen
Duft gehaucht .... die Vergangenheit wie ein wei-
nender Engel, mit ihrem lieben Munde mir die
Wangen kuͤſſend … all’ ihre Bilder und Farben …
die Zukunft im Spiegel meiner Ahnung, wie ein
Regenbogen in den ſonnenhellen Thraͤnen meiner
Wehmuth glaͤnzend … da lieg’ ich, nur ſo ein
kleines Maͤnnchen! und doch meine Wuͤnſche, mei-
nen wundgeweinten Blick von den ragenden Hoͤhen
hinuͤber ſtreckend in die ungeheuern Fernen, wo ſie
lebt, die Liebe, Gute .... ahnend, durchſchauert
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/87>, abgerufen am 16.02.2025.
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