Sie schwiegen. Caton zitterte. Zittern sah ich ihn noch nie. Er hob die Arme zum Himmel, und rief: o Vaterland und Liebe! Dann schlang er brünstig seine Arme um Atalanta, und presste das bebende Mädchen an seine Brust und küsste ihre Lippen. Jch kann nicht mehr, war das einzige, was er noch ausrief. Nun stand er auf und sagte mit einer Stim- me, die nie noch klang aus seinem Munde: Atalan- ta ... komm! Sie gab ihm die Hand, und beide verschwanden im Dunkel.
Caton! Caton! das hätt' ich nicht gedacht!
War diß das fürchterliche Geheimniß, das du ausgebrütet im Gewölbe bey'm magisch geisterhaften Schein der Candelaber? Finsterer Sohn der räthselhaf- ten Nacht, du ewiges Geheimniß! ich wähnte, du denkest am alten schwarzen Sarkophag an die abge- schied'nen Brüder, und nicht an eine unverblühte Ju- gend: ich wähnte, in deiner Brust wehen die Schauer des Todes und sie glühet für zarte Mädchenwangen; der Sarkophag sey bestimmt für die Verstorb'nen, und nicht für die Lebendigen ... für mich! ... O Theodor! mir graus't!
Lange stand ich unbeweglich an der Säule. Dann sank ich auf die Trümmer, wo die Beyden sich
Sie ſchwiegen. Caton zitterte. Zittern ſah ich ihn noch nie. Er hob die Arme zum Himmel, und rief: o Vaterland und Liebe! Dann ſchlang er bruͤnſtig ſeine Arme um Atalanta, und preſſte das bebende Maͤdchen an ſeine Bruſt und kuͤſſte ihre Lippen. Jch kann nicht mehr, war das einzige, was er noch ausrief. Nun ſtand er auf und ſagte mit einer Stim- me, die nie noch klang aus ſeinem Munde: Atalan- ta … komm! Sie gab ihm die Hand, und beide verſchwanden im Dunkel.
Caton! Caton! das haͤtt’ ich nicht gedacht!
War diß das fuͤrchterliche Geheimniß, das du ausgebruͤtet im Gewoͤlbe bey’m magiſch geiſterhaften Schein der Candelaber? Finſterer Sohn der raͤthſelhaf- ten Nacht, du ewiges Geheimniß! ich waͤhnte, du denkeſt am alten ſchwarzen Sarkophag an die abge- ſchied’nen Bruͤder, und nicht an eine unverbluͤhte Ju- gend: ich waͤhnte, in deiner Bruſt wehen die Schauer des Todes und ſie gluͤhet fuͤr zarte Maͤdchenwangen; der Sarkophag ſey beſtimmt fuͤr die Verſtorb’nen, und nicht fuͤr die Lebendigen … fuͤr mich! … O Theodor! mir graus’t!
Lange ſtand ich unbeweglich an der Saͤule. Dann ſank ich auf die Truͤmmer, wo die Beyden ſich
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Sie ſchwiegen. Caton zitterte. Zittern ſah ich
ihn noch nie. Er hob die Arme zum Himmel, und
rief: o Vaterland und Liebe! Dann ſchlang er bruͤnſtig
ſeine Arme um Atalanta, und preſſte das bebende
Maͤdchen an ſeine Bruſt und kuͤſſte ihre Lippen.
Jch kann nicht mehr, war das einzige, was er noch
ausrief. Nun ſtand er auf und ſagte mit einer Stim-
me, die nie noch klang aus ſeinem Munde: Atalan-
ta … komm! Sie gab ihm die Hand, und beide
verſchwanden im Dunkel.
Caton! Caton! das haͤtt’ ich nicht gedacht!
War diß das fuͤrchterliche Geheimniß, das du
ausgebruͤtet im Gewoͤlbe bey’m magiſch geiſterhaften
Schein der Candelaber? Finſterer Sohn der raͤthſelhaf-
ten Nacht, du ewiges Geheimniß! ich waͤhnte, du
denkeſt am alten ſchwarzen Sarkophag an die abge-
ſchied’nen Bruͤder, und nicht an eine unverbluͤhte Ju-
gend: ich waͤhnte, in deiner Bruſt wehen die Schauer des
Todes und ſie gluͤhet fuͤr zarte Maͤdchenwangen; der
Sarkophag ſey beſtimmt fuͤr die Verſtorb’nen, und
nicht fuͤr die Lebendigen … fuͤr mich! … O
Theodor! mir graus’t!
Lange ſtand ich unbeweglich an der Saͤule.
Dann ſank ich auf die Truͤmmer, wo die Beyden ſich
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/8>, abgerufen am 16.02.2025.
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