O Atalanta! ... Geliebte! rief ich halb wahn- sinnig und stürzte mich ihr zu Füßen: vergieb mir, Heilige! den Schmerz meiner Seele!
Da sank auch sie auf ihre Kniee und betete mit gefalteten Händen: du Gott, unser liebender Vater, wir fühlen deine Nähe!
Dann blickte sie mich an -- die ganze Fülle des Himmels quoll in ihrem Auge ...... und sprach: Mein Herz ist rein und keusch, o Gott! wie das Blau deines Himmels, wie die Blumen auf deiner Erde! Jüngling, bleib' auch du rein, dann finden wir uns wieder in Gott!
Sie konnte nicht mehr, sank an meine Brust; wir lagen stumm an einander in Einem glühenden Kusse, tranken unsterbliche Wonne aus unsern Lip- pen. Unsere Seelen stiegen aus der Hülle, wie der reine körperlose Duft aus der Blume. Wir sahen nichts mehr, hörten nichts mehr, die Sinne schwanden uns: unsere Entzückung war zu groß.
Wir erwachten aus der Betäubung, hoben uns auf.
O Atalanta! … Geliebte! rief ich halb wahn- ſinnig und ſtuͤrzte mich ihr zu Fuͤßen: vergieb mir, Heilige! den Schmerz meiner Seele!
Da ſank auch ſie auf ihre Kniee und betete mit gefalteten Haͤnden: du Gott, unſer liebender Vater, wir fuͤhlen deine Naͤhe!
Dann blickte ſie mich an — die ganze Fuͤlle des Himmels quoll in ihrem Auge ...... und ſprach: Mein Herz iſt rein und keuſch, o Gott! wie das Blau deines Himmels, wie die Blumen auf deiner Erde! Juͤngling, bleib’ auch du rein, dann finden wir uns wieder in Gott!
Sie konnte nicht mehr, ſank an meine Bruſt; wir lagen ſtumm an einander in Einem gluͤhenden Kuſſe, tranken unſterbliche Wonne aus unſern Lip- pen. Unſere Seelen ſtiegen aus der Huͤlle, wie der reine koͤrperloſe Duft aus der Blume. Wir ſahen nichts mehr, hoͤrten nichts mehr, die Sinne ſchwanden uns: unſere Entzuͤckung war zu groß.
Wir erwachten aus der Betaͤubung, hoben uns auf.
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O Atalanta! … Geliebte! rief ich halb wahn-
ſinnig und ſtuͤrzte mich ihr zu Fuͤßen: vergieb mir,
Heilige! den Schmerz meiner Seele!
Da ſank auch ſie auf ihre Kniee und betete
mit gefalteten Haͤnden: du Gott, unſer liebender
Vater, wir fuͤhlen deine Naͤhe!
Dann blickte ſie mich an — die ganze Fuͤlle
des Himmels quoll in ihrem Auge ...... und
ſprach: Mein Herz iſt rein und keuſch, o Gott!
wie das Blau deines Himmels, wie die Blumen
auf deiner Erde! Juͤngling, bleib’ auch du
rein, dann finden wir uns wieder in
Gott!
Sie konnte nicht mehr, ſank an meine Bruſt;
wir lagen ſtumm an einander in Einem gluͤhenden
Kuſſe, tranken unſterbliche Wonne aus unſern Lip-
pen. Unſere Seelen ſtiegen aus der Huͤlle, wie
der reine koͤrperloſe Duft aus der Blume. Wir
ſahen nichts mehr, hoͤrten nichts mehr, die Sinne
ſchwanden uns: unſere Entzuͤckung war zu groß.
Wir erwachten aus der Betaͤubung, hoben uns
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/75>, abgerufen am 16.02.2025.
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