Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

ter den Tüchern. Sie sagte mit einem tiefen Seuf-
zer: ach warum bist du so gefallen?

O das sagte sie so unendlich traurig, so zer-
flossen in Wehmuth, und doch so ganz voll Liebe!

Er aber raste. Mit einem gräßlichen Oh!
stürzt' er von neuem über sie. Seine Lippen brann-
ten auf den ihren.

Wir hörten sie weinen. Sie konnte sich nicht
los machen. Wir richteten den Wahnsinnigen auf.

Wie sie sich wieder frey sah, weinte sie noch
stärker. Dann lispelte sie wieder wie betend: Ach!
warum muß ich ihn so wieder sehen!

Sie schien sich wieder zu sammeln. Wieder
ergriff sie seine Hand und sagte: auch so bist du
noch mein!

Dann verschwamm ihr Blick in den Wogen
des Abendroths durch die hohen offenen Bogenfen-
ster.

Sie ward verklärt.

Dahinein, sagte sie mit einer Engelsstimme,
dahinein werd' ich tauchen, ein unsterblicher Geist,

10

ter den Tuͤchern. Sie ſagte mit einem tiefen Seuf-
zer: ach warum biſt du ſo gefallen?

O das ſagte ſie ſo unendlich traurig, ſo zer-
floſſen in Wehmuth, und doch ſo ganz voll Liebe!

Er aber raste. Mit einem graͤßlichen Oh!
ſtuͤrzt’ er von neuem uͤber ſie. Seine Lippen brann-
ten auf den ihren.

Wir hoͤrten ſie weinen. Sie konnte ſich nicht
los machen. Wir richteten den Wahnſinnigen auf.

Wie ſie ſich wieder frey ſah, weinte ſie noch
ſtaͤrker. Dann liſpelte ſie wieder wie betend: Ach!
warum muß ich ihn ſo wieder ſehen!

Sie ſchien ſich wieder zu ſammeln. Wieder
ergriff ſie ſeine Hand und ſagte: auch ſo biſt du
noch mein!

Dann verſchwamm ihr Blick in den Wogen
des Abendroths durch die hohen offenen Bogenfen-
ſter.

Sie ward verklaͤrt.

Dahinein, ſagte ſie mit einer Engelsſtimme,
dahinein werd’ ich tauchen, ein unſterblicher Geiſt,

10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0145" n="145"/>
ter den Tu&#x0364;chern. Sie &#x017F;agte mit einem tiefen Seuf-<lb/>
zer: ach warum bi&#x017F;t du &#x017F;o gefallen?</p><lb/>
        <p>O das &#x017F;agte &#x017F;ie &#x017F;o unendlich traurig, &#x017F;o zer-<lb/>
flo&#x017F;&#x017F;en in Wehmuth, und doch &#x017F;o ganz voll Liebe!</p><lb/>
        <p>Er aber raste. Mit einem gra&#x0364;ßlichen Oh!<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzt&#x2019; er von neuem u&#x0364;ber &#x017F;ie. Seine Lippen brann-<lb/>
ten auf den ihren.</p><lb/>
        <p>Wir ho&#x0364;rten &#x017F;ie weinen. Sie konnte &#x017F;ich nicht<lb/>
los machen. Wir richteten den Wahn&#x017F;innigen auf.</p><lb/>
        <p>Wie &#x017F;ie &#x017F;ich wieder frey &#x017F;ah, weinte &#x017F;ie noch<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rker. Dann li&#x017F;pelte &#x017F;ie wieder wie betend: Ach!<lb/>
warum muß ich ihn &#x017F;o wieder &#x017F;ehen!</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;chien &#x017F;ich wieder zu &#x017F;ammeln. Wieder<lb/>
ergriff &#x017F;ie &#x017F;eine Hand und &#x017F;agte: auch &#x017F;o bi&#x017F;t du<lb/>
noch mein!</p><lb/>
        <p>Dann ver&#x017F;chwamm ihr Blick in den Wogen<lb/>
des Abendroths durch die hohen offenen Bogenfen-<lb/>
&#x017F;ter.</p><lb/>
        <p>Sie ward verkla&#x0364;rt.</p><lb/>
        <p>Dahinein, &#x017F;agte &#x017F;ie mit einer Engels&#x017F;timme,<lb/>
dahinein werd&#x2019; ich tauchen, ein un&#x017F;terblicher Gei&#x017F;t,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0145] ter den Tuͤchern. Sie ſagte mit einem tiefen Seuf- zer: ach warum biſt du ſo gefallen? O das ſagte ſie ſo unendlich traurig, ſo zer- floſſen in Wehmuth, und doch ſo ganz voll Liebe! Er aber raste. Mit einem graͤßlichen Oh! ſtuͤrzt’ er von neuem uͤber ſie. Seine Lippen brann- ten auf den ihren. Wir hoͤrten ſie weinen. Sie konnte ſich nicht los machen. Wir richteten den Wahnſinnigen auf. Wie ſie ſich wieder frey ſah, weinte ſie noch ſtaͤrker. Dann liſpelte ſie wieder wie betend: Ach! warum muß ich ihn ſo wieder ſehen! Sie ſchien ſich wieder zu ſammeln. Wieder ergriff ſie ſeine Hand und ſagte: auch ſo biſt du noch mein! Dann verſchwamm ihr Blick in den Wogen des Abendroths durch die hohen offenen Bogenfen- ſter. Sie ward verklaͤrt. Dahinein, ſagte ſie mit einer Engelsſtimme, dahinein werd’ ich tauchen, ein unſterblicher Geiſt, 10

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/145
Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/145>, abgerufen am 23.11.2024.