Bäume auf dem Wasserspiegel, in den Wolken des lautern Aethers. Selbst der dunkle Himmel schien zu quillen und zu wogen, wie ein seelenvolles, lieberfülltes Auge. Und doch war's so eine heilige Stille, so ein überschwänglich-süßes Schweigen.
Jch schaukelte mich allein im Kahne. Mein Auge hob sich zum Mond und weinte seine Thrä- nen hinauf und trank Ruhe, Demuth und Frieden aus seinem Lichte. Jmmer stiller und stiller ward mein Gemüth, und immer lauterer, voller. Ein unbegreiflich seliges Sehnen schwang mich fort. Dann verlor sich mein nasses Aug' in Himmel und Wasser, drang tiefer und immer tiefer, bis es schwamm in Licht und Dunkel.
Jch schlummert' ein im Kahne. Mir träumte, es wäre auch Mondnacht und ich triebe in der nämlichen Gegend auf dem See. An dich dacht' ich. Vom Ufer herüber, aus dem Laube, schweb- ten unendlich zarte Töne, drangen durch mein tief Jnnerstes, voll Liebe, voll Jnnigkeit, voll reiner Seele. Mit einemmal hob sich der Kahn im Ge- wässer: ich erschrak. Ein weißer zarter Knabe mit blonden Locken und duftenden Rosenkränzen lenkte mit rosenrothen Banden ein paar blendendweiße
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Baͤume auf dem Waſſerſpiegel, in den Wolken des lautern Aethers. Selbſt der dunkle Himmel ſchien zu quillen und zu wogen, wie ein ſeelenvolles, lieberfuͤlltes Auge. Und doch war’s ſo eine heilige Stille, ſo ein uͤberſchwaͤnglich-ſuͤßes Schweigen.
Jch ſchaukelte mich allein im Kahne. Mein Auge hob ſich zum Mond und weinte ſeine Thraͤ- nen hinauf und trank Ruhe, Demuth und Frieden aus ſeinem Lichte. Jmmer ſtiller und ſtiller ward mein Gemuͤth, und immer lauterer, voller. Ein unbegreiflich ſeliges Sehnen ſchwang mich fort. Dann verlor ſich mein naſſes Aug’ in Himmel und Waſſer, drang tiefer und immer tiefer, bis es ſchwamm in Licht und Dunkel.
Jch ſchlummert’ ein im Kahne. Mir traͤumte, es waͤre auch Mondnacht und ich triebe in der naͤmlichen Gegend auf dem See. An dich dacht’ ich. Vom Ufer heruͤber, aus dem Laube, ſchweb- ten unendlich zarte Toͤne, drangen durch mein tief Jnnerſtes, voll Liebe, voll Jnnigkeit, voll reiner Seele. Mit einemmal hob ſich der Kahn im Ge- waͤſſer: ich erſchrak. Ein weißer zarter Knabe mit blonden Locken und duftenden Roſenkraͤnzen lenkte mit roſenrothen Banden ein paar blendendweiße
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Baͤume auf dem Waſſerſpiegel, in den Wolken des
lautern Aethers. Selbſt der dunkle Himmel ſchien
zu quillen und zu wogen, wie ein ſeelenvolles,
lieberfuͤlltes Auge. Und doch war’s ſo eine heilige
Stille, ſo ein uͤberſchwaͤnglich-ſuͤßes Schweigen.
Jch ſchaukelte mich allein im Kahne. Mein
Auge hob ſich zum Mond und weinte ſeine Thraͤ-
nen hinauf und trank Ruhe, Demuth und Frieden
aus ſeinem Lichte. Jmmer ſtiller und ſtiller ward
mein Gemuͤth, und immer lauterer, voller. Ein
unbegreiflich ſeliges Sehnen ſchwang mich fort.
Dann verlor ſich mein naſſes Aug’ in Himmel und
Waſſer, drang tiefer und immer tiefer, bis es
ſchwamm in Licht und Dunkel.
Jch ſchlummert’ ein im Kahne. Mir traͤumte,
es waͤre auch Mondnacht und ich triebe in der
naͤmlichen Gegend auf dem See. An dich dacht’
ich. Vom Ufer heruͤber, aus dem Laube, ſchweb-
ten unendlich zarte Toͤne, drangen durch mein tief
Jnnerſtes, voll Liebe, voll Jnnigkeit, voll reiner
Seele. Mit einemmal hob ſich der Kahn im Ge-
waͤſſer: ich erſchrak. Ein weißer zarter Knabe mit
blonden Locken und duftenden Roſenkraͤnzen lenkte
mit roſenrothen Banden ein paar blendendweiße
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/129>, abgerufen am 16.07.2024.
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