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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Phaethon an Theodor.

Maaß zu halten bey solcher Fülle, das war sonst
mein Höchstes. Jch kann's nicht mehr!

Auch jene süße Bewegung des Herzens kenn'
ich nicht mehr, wo es, so einig mit sich selbst, sich
regt und wallet, wie die glühenden Feuerwellen des
Meeres am Abend, so zart, so verschmolzen, und
doch so liebend-einig!

Ein kalter schauriger Frost durchwirbelt meine
Seele, und wenn er einmal weicht, so ist's keine
freundliche, begeisternde Freude, die an seine Stelle
tritt, es ist eine zuckende Wonne, ein verzehrendes
Sehnen, das durch mein Jnneres fährt und schnelle
verrauscht, und der alten Nacht die Stelle wieder
räumt.

Und beten? Warum kann ich nicht mehr beten?
Sieh! da hatt' ich gestern meinen Knaben vor mir

Phaethon an Theodor.

Maaß zu halten bey ſolcher Fuͤlle, das war ſonſt
mein Hoͤchſtes. Jch kann’s nicht mehr!

Auch jene ſuͤße Bewegung des Herzens kenn’
ich nicht mehr, wo es, ſo einig mit ſich ſelbſt, ſich
regt und wallet, wie die gluͤhenden Feuerwellen des
Meeres am Abend, ſo zart, ſo verſchmolzen, und
doch ſo liebend-einig!

Ein kalter ſchauriger Froſt durchwirbelt meine
Seele, und wenn er einmal weicht, ſo iſt’s keine
freundliche, begeiſternde Freude, die an ſeine Stelle
tritt, es iſt eine zuckende Wonne, ein verzehrendes
Sehnen, das durch mein Jnneres faͤhrt und ſchnelle
verrauſcht, und der alten Nacht die Stelle wieder
raͤumt.

Und beten? Warum kann ich nicht mehr beten?
Sieh! da hatt’ ich geſtern meinen Knaben vor mir

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[114/0114] Phaethon an Theodor. Maaß zu halten bey ſolcher Fuͤlle, das war ſonſt mein Hoͤchſtes. Jch kann’s nicht mehr! Auch jene ſuͤße Bewegung des Herzens kenn’ ich nicht mehr, wo es, ſo einig mit ſich ſelbſt, ſich regt und wallet, wie die gluͤhenden Feuerwellen des Meeres am Abend, ſo zart, ſo verſchmolzen, und doch ſo liebend-einig! Ein kalter ſchauriger Froſt durchwirbelt meine Seele, und wenn er einmal weicht, ſo iſt’s keine freundliche, begeiſternde Freude, die an ſeine Stelle tritt, es iſt eine zuckende Wonne, ein verzehrendes Sehnen, das durch mein Jnneres faͤhrt und ſchnelle verrauſcht, und der alten Nacht die Stelle wieder raͤumt. Und beten? Warum kann ich nicht mehr beten? Sieh! da hatt’ ich geſtern meinen Knaben vor mir

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/114>, abgerufen am 24.11.2024.