Ach! die irdische Kraft, die sich selbst die Schranken nicht setzt, wirft der zür- nende Gott zurück.
Auf dem Kirchhof sitz' ich Nächtelang. Diese Stille, dieses Schweigen umher! todt, verstorben, verlassen alles, alles! über mir, unter mir, in mir! nur ein mattes, verwehendes Beben im gerüttelten Zweige, im flüsternden Blatte! die Geister der Ver- schiedenen im einsamen Zittern des Grashalms, im grauen, traurigen Leichenstein, im dämmernden, herabwallenden Mondlicht webend! noch so eine dumpfe Rückerinnerung von all' der Fülle, von all' dem überschwänglichen Seyn, dem ewigen Wogen und Fließen, und nun dieß Nichts! dieß Dahin- schwinden! .... auf all' dieß Gerege, solche Toden- stille! solch' ein stummes Verzweifeln in mir selbst ...!
Und dann auf einmal ist's, wie ein geschwun- genes Rad in meinem Gehirn. Jch kann nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, O Bruder, Bruder! wie wird's werden?
Ach! die irdiſche Kraft, die ſich ſelbſt die Schranken nicht ſetzt, wirft der zuͤr- nende Gott zuruͤck.
Auf dem Kirchhof ſitz’ ich Naͤchtelang. Dieſe Stille, dieſes Schweigen umher! todt, verſtorben, verlaſſen alles, alles! uͤber mir, unter mir, in mir! nur ein mattes, verwehendes Beben im geruͤttelten Zweige, im fluͤſternden Blatte! die Geiſter der Ver- ſchiedenen im einſamen Zittern des Grashalms, im grauen, traurigen Leichenſtein, im daͤmmernden, herabwallenden Mondlicht webend! noch ſo eine dumpfe Ruͤckerinnerung von all’ der Fuͤlle, von all’ dem uͤberſchwaͤnglichen Seyn, dem ewigen Wogen und Fließen, und nun dieß Nichts! dieß Dahin- ſchwinden! .... auf all’ dieß Gerege, ſolche Toden- ſtille! ſolch’ ein ſtummes Verzweifeln in mir ſelbſt …!
Und dann auf einmal iſt’s, wie ein geſchwun- genes Rad in meinem Gehirn. Jch kann nichts mehr denken, nichts mehr fuͤhlen, O Bruder, Bruder! wie wird’s werden?
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Ach! die irdiſche Kraft, die ſich ſelbſt
die Schranken nicht ſetzt, wirft der zuͤr-
nende Gott zuruͤck.
Auf dem Kirchhof ſitz’ ich Naͤchtelang. Dieſe
Stille, dieſes Schweigen umher! todt, verſtorben,
verlaſſen alles, alles! uͤber mir, unter mir, in mir!
nur ein mattes, verwehendes Beben im geruͤttelten
Zweige, im fluͤſternden Blatte! die Geiſter der Ver-
ſchiedenen im einſamen Zittern des Grashalms,
im grauen, traurigen Leichenſtein, im daͤmmernden,
herabwallenden Mondlicht webend! noch ſo eine
dumpfe Ruͤckerinnerung von all’ der Fuͤlle, von all’
dem uͤberſchwaͤnglichen Seyn, dem ewigen Wogen
und Fließen, und nun dieß Nichts! dieß Dahin-
ſchwinden! .... auf all’ dieß Gerege, ſolche Toden-
ſtille! ſolch’ ein ſtummes Verzweifeln in mir
ſelbſt …!
Und dann auf einmal iſt’s, wie ein geſchwun-
genes Rad in meinem Gehirn. Jch kann nichts
mehr denken, nichts mehr fuͤhlen, O Bruder,
Bruder! wie wird’s werden?
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/109>, abgerufen am 16.07.2024.
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