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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Phaethon an Theodor.

Was sind das für wunderbare Menschen! Unbe-
greiflicher werden sie mir jeden Tag. Jch komme
mir so klein vor unter diesen Dreyen. Und doch
ist Caton der Räthselhafteste. Er schweigt schon
lange von seinem Griechenland, und nannte nicht
einmal den Namen. O es ist eine Wonne, zu
stehen vor dieser erhabenen Gestalt! Diese dunkeln,
verglühenden Augen, und der verbissene Schmerz
darin, diese ernsten Falten in der gewölbten um-
lockten Stirne, dieser finstere Bart, aus dem die
schönen Lippen lächeln, wie der Mond durch ein
krauses Wölkchen, dieser stolze Hals auf den brei-
ten Mannesschultern! -- Und sein seltsam unerklär-
bares Betragen gegen Atalanta! Jch sah's schon,
wie er vor ihr stand, und die Schöne, Liebliche an
ihm hinaufblickte -- da glühte sein Auge, und
drehte sich schmerzlich in den großen umbuschten

Phaethon an Theodor.

Was ſind das fuͤr wunderbare Menſchen! Unbe-
greiflicher werden ſie mir jeden Tag. Jch komme
mir ſo klein vor unter dieſen Dreyen. Und doch
iſt Caton der Raͤthſelhafteſte. Er ſchweigt ſchon
lange von ſeinem Griechenland, und nannte nicht
einmal den Namen. O es iſt eine Wonne, zu
ſtehen vor dieſer erhabenen Geſtalt! Dieſe dunkeln,
vergluͤhenden Augen, und der verbiſſene Schmerz
darin, dieſe ernſten Falten in der gewoͤlbten um-
lockten Stirne, dieſer finſtere Bart, aus dem die
ſchoͤnen Lippen laͤcheln, wie der Mond durch ein
krauſes Woͤlkchen, dieſer ſtolze Hals auf den brei-
ten Mannesſchultern! — Und ſein ſeltſam unerklaͤr-
bares Betragen gegen Atalanta! Jch ſah’s ſchon,
wie er vor ihr ſtand, und die Schoͤne, Liebliche an
ihm hinaufblickte — da gluͤhte ſein Auge, und
drehte ſich ſchmerzlich in den großen umbuſchten

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[88/0098] Phaethon an Theodor. Was ſind das fuͤr wunderbare Menſchen! Unbe- greiflicher werden ſie mir jeden Tag. Jch komme mir ſo klein vor unter dieſen Dreyen. Und doch iſt Caton der Raͤthſelhafteſte. Er ſchweigt ſchon lange von ſeinem Griechenland, und nannte nicht einmal den Namen. O es iſt eine Wonne, zu ſtehen vor dieſer erhabenen Geſtalt! Dieſe dunkeln, vergluͤhenden Augen, und der verbiſſene Schmerz darin, dieſe ernſten Falten in der gewoͤlbten um- lockten Stirne, dieſer finſtere Bart, aus dem die ſchoͤnen Lippen laͤcheln, wie der Mond durch ein krauſes Woͤlkchen, dieſer ſtolze Hals auf den brei- ten Mannesſchultern! — Und ſein ſeltſam unerklaͤr- bares Betragen gegen Atalanta! Jch ſah’s ſchon, wie er vor ihr ſtand, und die Schoͤne, Liebliche an ihm hinaufblickte — da gluͤhte ſein Auge, und drehte ſich ſchmerzlich in den großen umbuſchten

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/98>, abgerufen am 22.11.2024.