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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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was um mich war. Da legt' er seine Hände auf
mein Haupt und sagte: junger, lebhafter Schwär-
mer, auch du mußt einst nach Griechenland wan-
deln. Jch fühlte ganz, ganz diese Sehnsucht in
seinem Busen, und wie von Berg zu Berg, er-
klang's von seiner Seele zu der meinen.

Da blickt' ich wieder auf. Das schöne Mäd-
chen hatte die zarten Arme auf der Mutter Schooß
gestützt, und das Haupt ruhte auf den kleinen
Händen, und ich sah sie glühen vom Purpur der
Abendsonne, wie eine Aurora, und mich anlächeln.
Theodor! da war mir's, als wäre sie's, was ich
geahnt, gewünscht, als hätt' ich nach ihr so oft ge-
weint, und mich vergeblich Nächtelang gesehnt.
Da war aller Mißklang weg aus meiner Seele,
und in meinem tiefsten Jnnern klang's: nur sie,
nur sie!

O auch sie mußt' es fühlen, wie mir's war in
dieser Stunde. Denn sie blickte holderröthend nie-
der, so oft mein fieberschauernd Auge sie traf.

Die Sonne war hinunter und Atalanta fragte:
geh'n wir nicht nach Hause. Cäcilie lächelte und
stand auf. Sie schwebten den Hügel hinunter.
Wir Männer folgten.

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was um mich war. Da legt’ er ſeine Haͤnde auf
mein Haupt und ſagte: junger, lebhafter Schwaͤr-
mer, auch du mußt einſt nach Griechenland wan-
deln. Jch fuͤhlte ganz, ganz dieſe Sehnſucht in
ſeinem Buſen, und wie von Berg zu Berg, er-
klang’s von ſeiner Seele zu der meinen.

Da blickt’ ich wieder auf. Das ſchoͤne Maͤd-
chen hatte die zarten Arme auf der Mutter Schooß
geſtuͤtzt, und das Haupt ruhte auf den kleinen
Haͤnden, und ich ſah ſie gluͤhen vom Purpur der
Abendſonne, wie eine Aurora, und mich anlaͤcheln.
Theodor! da war mir’s, als waͤre ſie’s, was ich
geahnt, gewuͤnſcht, als haͤtt’ ich nach ihr ſo oft ge-
weint, und mich vergeblich Naͤchtelang geſehnt.
Da war aller Mißklang weg aus meiner Seele,
und in meinem tiefſten Jnnern klang’s: nur ſie,
nur ſie!

O auch ſie mußt’ es fuͤhlen, wie mir’s war in
dieſer Stunde. Denn ſie blickte holderroͤthend nie-
der, ſo oft mein fieberſchauernd Auge ſie traf.

Die Sonne war hinunter und Atalanta fragte:
geh’n wir nicht nach Hauſe. Caͤcilie laͤchelte und
ſtand auf. Sie ſchwebten den Huͤgel hinunter.
Wir Maͤnner folgten.

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[65/0075] was um mich war. Da legt’ er ſeine Haͤnde auf mein Haupt und ſagte: junger, lebhafter Schwaͤr- mer, auch du mußt einſt nach Griechenland wan- deln. Jch fuͤhlte ganz, ganz dieſe Sehnſucht in ſeinem Buſen, und wie von Berg zu Berg, er- klang’s von ſeiner Seele zu der meinen. Da blickt’ ich wieder auf. Das ſchoͤne Maͤd- chen hatte die zarten Arme auf der Mutter Schooß geſtuͤtzt, und das Haupt ruhte auf den kleinen Haͤnden, und ich ſah ſie gluͤhen vom Purpur der Abendſonne, wie eine Aurora, und mich anlaͤcheln. Theodor! da war mir’s, als waͤre ſie’s, was ich geahnt, gewuͤnſcht, als haͤtt’ ich nach ihr ſo oft ge- weint, und mich vergeblich Naͤchtelang geſehnt. Da war aller Mißklang weg aus meiner Seele, und in meinem tiefſten Jnnern klang’s: nur ſie, nur ſie! O auch ſie mußt’ es fuͤhlen, wie mir’s war in dieſer Stunde. Denn ſie blickte holderroͤthend nie- der, ſo oft mein fieberſchauernd Auge ſie traf. Die Sonne war hinunter und Atalanta fragte: geh’n wir nicht nach Hauſe. Caͤcilie laͤchelte und ſtand auf. Sie ſchwebten den Huͤgel hinunter. Wir Maͤnner folgten. 5

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/75>, abgerufen am 22.11.2024.