Ach! jene Zeiten waren verschunden, und das so bald! Mit ihnen jene stille Ein- falt des heitern kindlichen Sinnes, des unge- trübten, warmen Herzens, jenes ahnende schwel- lende Hangen an Allem, jenes Wogen und Fühlen einer so vollen, so zarten, und doch so gestillten Brust! Das all' war dahin!
Mich umgab die unermeßliche Welt, die Bilder alles Schönen und Großen, mit rau- schender Fülle. Mit kühnem, unbefriedigtem Sinne griff ich nach allem, drängte mich su- chend und strebend in alles. Aber alles war so weit, so auseinander, so fern und kalt, so gar nicht mein, und ich wollte doch etwas so ganz Anderes! Was mir oft, wie ein heißer, liebender Kuß, meine glühenden Wangen drückte, das fand ich nicht!
Warum war ich herausgegangen aus mir? Suchte mit namenlosem Drange nach
Ach! jene Zeiten waren verſchunden, und das ſo bald! Mit ihnen jene ſtille Ein- falt des heitern kindlichen Sinnes, des unge- truͤbten, warmen Herzens, jenes ahnende ſchwel- lende Hangen an Allem, jenes Wogen und Fuͤhlen einer ſo vollen, ſo zarten, und doch ſo geſtillten Bruſt! Das all’ war dahin!
Mich umgab die unermeßliche Welt, die Bilder alles Schoͤnen und Großen, mit rau- ſchender Fuͤlle. Mit kuͤhnem, unbefriedigtem Sinne griff ich nach allem, draͤngte mich ſu- chend und ſtrebend in alles. Aber alles war ſo weit, ſo auseinander, ſo fern und kalt, ſo gar nicht mein, und ich wollte doch etwas ſo ganz Anderes! Was mir oft, wie ein heißer, liebender Kuß, meine gluͤhenden Wangen druͤckte, das fand ich nicht!
Warum war ich herausgegangen aus mir? Suchte mit namenloſem Drange nach
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[0007]
Ach! jene Zeiten waren verſchunden,
und das ſo bald! Mit ihnen jene ſtille Ein-
falt des heitern kindlichen Sinnes, des unge-
truͤbten, warmen Herzens, jenes ahnende ſchwel-
lende Hangen an Allem, jenes Wogen und
Fuͤhlen einer ſo vollen, ſo zarten, und doch
ſo geſtillten Bruſt! Das all’ war dahin!
Mich umgab die unermeßliche Welt, die
Bilder alles Schoͤnen und Großen, mit rau-
ſchender Fuͤlle. Mit kuͤhnem, unbefriedigtem
Sinne griff ich nach allem, draͤngte mich ſu-
chend und ſtrebend in alles. Aber alles war
ſo weit, ſo auseinander, ſo fern und kalt, ſo
gar nicht mein, und ich wollte doch etwas ſo
ganz Anderes! Was mir oft, wie ein heißer,
liebender Kuß, meine gluͤhenden Wangen
druͤckte, das fand ich nicht!
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/7>, abgerufen am 16.07.2024.
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