Lieber! wenn ich an meinem Klavier sitze und Atalanta sitzt neben mir -- wenn die Töne bald schmelzend und tiefschmerzlich, wie mein Jnneres klingen, und in sanften, verschwebenden Akkorden, in linden, unendlich empfindungsreichen Accenten, eine namenlose Sehnsucht hauchen, wie das Auge der Geliebten, und unsere Herzen erbeben und zer- schmelzen, und weinend ein unerklärbares Verlangen fühlen; bald wie aus der Tiefe, wie ein unterirdi- sches Donnern zittern, als verkündigten sie das Aufsteigen der schauervollen Geisterwelt, und im- mer weiter anwachsen und schwellen, und unsere Seelen, wie in einem Sturme, unaufhaltsam fort- gewirbelt werden, und alles um uns und über uns zittert und wanket, da ergreif' ich oft ihre Hand; ihr Auge wird wie die durchsichtige, aber uner- gründbare Luft, wie das endlose, unermeßliche Meer, und ich finde keinen Grund und kein Ende, und glaube zu vergehen in dem Anschau'n dieser überschwänglichen Schöne.
Phaethon an Theodor.
Lieber! wenn ich an meinem Klavier ſitze und Atalanta ſitzt neben mir — wenn die Toͤne bald ſchmelzend und tiefſchmerzlich, wie mein Jnneres klingen, und in ſanften, verſchwebenden Akkorden, in linden, unendlich empfindungsreichen Accenten, eine namenloſe Sehnſucht hauchen, wie das Auge der Geliebten, und unſere Herzen erbeben und zer- ſchmelzen, und weinend ein unerklaͤrbares Verlangen fuͤhlen; bald wie aus der Tiefe, wie ein unterirdi- ſches Donnern zittern, als verkuͤndigten ſie das Aufſteigen der ſchauervollen Geiſterwelt, und im- mer weiter anwachſen und ſchwellen, und unſere Seelen, wie in einem Sturme, unaufhaltſam fort- gewirbelt werden, und alles um uns und uͤber uns zittert und wanket, da ergreif’ ich oft ihre Hand; ihr Auge wird wie die durchſichtige, aber uner- gruͤndbare Luft, wie das endloſe, unermeßliche Meer, und ich finde keinen Grund und kein Ende, und glaube zu vergehen in dem Anſchau’n dieſer uͤberſchwaͤnglichen Schoͤne.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0164"n="154"/><divn="3"><head><hirendition="#g">Phaethon an Theodor.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">L</hi>ieber! wenn ich an meinem Klavier ſitze und<lb/>
Atalanta ſitzt neben mir — wenn die Toͤne bald<lb/>ſchmelzend und tiefſchmerzlich, wie mein Jnneres<lb/>
klingen, und in ſanften, verſchwebenden Akkorden,<lb/>
in linden, unendlich empfindungsreichen Accenten,<lb/>
eine namenloſe Sehnſucht hauchen, wie das Auge<lb/>
der Geliebten, und unſere Herzen erbeben und zer-<lb/>ſchmelzen, und weinend ein unerklaͤrbares Verlangen<lb/>
fuͤhlen; bald wie aus der Tiefe, wie ein unterirdi-<lb/>ſches Donnern zittern, als verkuͤndigten ſie das<lb/>
Aufſteigen der ſchauervollen Geiſterwelt, und im-<lb/>
mer weiter anwachſen und ſchwellen, und unſere<lb/>
Seelen, wie in einem Sturme, unaufhaltſam fort-<lb/>
gewirbelt werden, und alles um uns und uͤber uns<lb/>
zittert und wanket, da ergreif’ ich oft ihre Hand;<lb/>
ihr Auge wird wie die durchſichtige, aber uner-<lb/>
gruͤndbare Luft, wie das endloſe, unermeßliche<lb/>
Meer, und ich finde keinen Grund und kein Ende,<lb/>
und glaube zu vergehen in dem Anſchau’n dieſer<lb/>
uͤberſchwaͤnglichen Schoͤne.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[154/0164]
Phaethon an Theodor.
Lieber! wenn ich an meinem Klavier ſitze und
Atalanta ſitzt neben mir — wenn die Toͤne bald
ſchmelzend und tiefſchmerzlich, wie mein Jnneres
klingen, und in ſanften, verſchwebenden Akkorden,
in linden, unendlich empfindungsreichen Accenten,
eine namenloſe Sehnſucht hauchen, wie das Auge
der Geliebten, und unſere Herzen erbeben und zer-
ſchmelzen, und weinend ein unerklaͤrbares Verlangen
fuͤhlen; bald wie aus der Tiefe, wie ein unterirdi-
ſches Donnern zittern, als verkuͤndigten ſie das
Aufſteigen der ſchauervollen Geiſterwelt, und im-
mer weiter anwachſen und ſchwellen, und unſere
Seelen, wie in einem Sturme, unaufhaltſam fort-
gewirbelt werden, und alles um uns und uͤber uns
zittert und wanket, da ergreif’ ich oft ihre Hand;
ihr Auge wird wie die durchſichtige, aber uner-
gruͤndbare Luft, wie das endloſe, unermeßliche
Meer, und ich finde keinen Grund und kein Ende,
und glaube zu vergehen in dem Anſchau’n dieſer
uͤberſchwaͤnglichen Schoͤne.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/164>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.