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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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der Mann, an eine Felsenstirne, und kann er seine
Arme nicht bewegen; in seinem Busen lebt die an-
gestammte unerschütterliche Kraft, selbst dem Un-
endlichen zu trotzen. Aber rein ist der Mann,
denn er ist das Abbild Gottes.
So denke
dir meinen Caton. Seine Brust gleicht dem Dia-
mant, der, unzerbrechlich fest, doch in sich faßt
das warme Licht der Sonne.

Um ihn schlingen, wie zarte weiche Blumen
um die Eiche, das Weib sich und das Mädchen.
Die Sanften würden verwelken, wenn sie der kräft'-
ge edle Stamm nicht an den Busen hielte. Denn
weich ist das Mädchen, deren Mund der Hauch
der Jugend, wie ein glühend Morgenroth, beseelt,
wie die Mutter, wann sie ihr lächelnd Kind am
warmen milcherfüllten Busen säugt. Aber die ächte
Jungfrau ist noch Kind, und die ächte Mutter ist
noch Jungfrau.

Ein tiefes Geheimniß ist die keusche Jungfrau.
Jhre Jungfrauschaft hört auf, wenn sie kein Ge-
heimniß mehr ist. Sie ist das vollkommenste, rüh-
rendste Sinnbild der Entwicklung und der Frucht-
barkeit, das Sinnbild der Natur. Darum ist ihre
Nähe heilig, und das Unheilige flieht vor ihrer Ge-
genwart wie vor dem Tempel der Gottheit.

der Mann, an eine Felſenſtirne, und kann er ſeine
Arme nicht bewegen; in ſeinem Buſen lebt die an-
geſtammte unerſchuͤtterliche Kraft, ſelbſt dem Un-
endlichen zu trotzen. Aber rein iſt der Mann,
denn er iſt das Abbild Gottes.
So denke
dir meinen Caton. Seine Bruſt gleicht dem Dia-
mant, der, unzerbrechlich feſt, doch in ſich faßt
das warme Licht der Sonne.

Um ihn ſchlingen, wie zarte weiche Blumen
um die Eiche, das Weib ſich und das Maͤdchen.
Die Sanften wuͤrden verwelken, wenn ſie der kraͤft’-
ge edle Stamm nicht an den Buſen hielte. Denn
weich iſt das Maͤdchen, deren Mund der Hauch
der Jugend, wie ein gluͤhend Morgenroth, beſeelt,
wie die Mutter, wann ſie ihr laͤchelnd Kind am
warmen milcherfuͤllten Buſen ſaͤugt. Aber die aͤchte
Jungfrau iſt noch Kind, und die aͤchte Mutter iſt
noch Jungfrau.

Ein tiefes Geheimniß iſt die keuſche Jungfrau.
Jhre Jungfrauſchaft hoͤrt auf, wenn ſie kein Ge-
heimniß mehr iſt. Sie iſt das vollkommenſte, ruͤh-
rendſte Sinnbild der Entwicklung und der Frucht-
barkeit, das Sinnbild der Natur. Darum iſt ihre
Naͤhe heilig, und das Unheilige flieht vor ihrer Ge-
genwart wie vor dem Tempel der Gottheit.

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[134/0144] der Mann, an eine Felſenſtirne, und kann er ſeine Arme nicht bewegen; in ſeinem Buſen lebt die an- geſtammte unerſchuͤtterliche Kraft, ſelbſt dem Un- endlichen zu trotzen. Aber rein iſt der Mann, denn er iſt das Abbild Gottes. So denke dir meinen Caton. Seine Bruſt gleicht dem Dia- mant, der, unzerbrechlich feſt, doch in ſich faßt das warme Licht der Sonne. Um ihn ſchlingen, wie zarte weiche Blumen um die Eiche, das Weib ſich und das Maͤdchen. Die Sanften wuͤrden verwelken, wenn ſie der kraͤft’- ge edle Stamm nicht an den Buſen hielte. Denn weich iſt das Maͤdchen, deren Mund der Hauch der Jugend, wie ein gluͤhend Morgenroth, beſeelt, wie die Mutter, wann ſie ihr laͤchelnd Kind am warmen milcherfuͤllten Buſen ſaͤugt. Aber die aͤchte Jungfrau iſt noch Kind, und die aͤchte Mutter iſt noch Jungfrau. Ein tiefes Geheimniß iſt die keuſche Jungfrau. Jhre Jungfrauſchaft hoͤrt auf, wenn ſie kein Ge- heimniß mehr iſt. Sie iſt das vollkommenſte, ruͤh- rendſte Sinnbild der Entwicklung und der Frucht- barkeit, das Sinnbild der Natur. Darum iſt ihre Naͤhe heilig, und das Unheilige flieht vor ihrer Ge- genwart wie vor dem Tempel der Gottheit.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/144>, abgerufen am 27.11.2024.