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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Phaethon an Theodor.

Jeden Abend geh' ich zu Bette mit dem Vorsatz,
ihr Morgen um den Hals zu fallen. Und wenn
ich dann am folgenden Tage vor ihr stehe, und
wir allein sind, und mich's mit unwiderstehlichem
Drang an ihre Brust zieht, da verschüchtert mich
ein einziger Blick aus dem schwarzen Auge, und
ein unbekanntes Etwas hält mich zurück.

Und kann ich denn keine Blume blühen sehen
in ihrer Unschuld an der warmen Erde? muß ich
sie denn brechen? Anbeten sollst du das Heilige,
berühren darfst du es nicht.

Und heilig ist die Jungfrau, die Reine, die
Keusche, weich und zart, wie ungeküßte Blumen,
nach Leib und Seele, o Gott, das schöne Bild
deines keuschen Geistes, deiner klaren, milchweißen
Sonnen -- Ein Licht -- Eine Seele -- Eine lä-

Phaethon an Theodor.

Jeden Abend geh’ ich zu Bette mit dem Vorſatz,
ihr Morgen um den Hals zu fallen. Und wenn
ich dann am folgenden Tage vor ihr ſtehe, und
wir allein ſind, und mich’s mit unwiderſtehlichem
Drang an ihre Bruſt zieht, da verſchuͤchtert mich
ein einziger Blick aus dem ſchwarzen Auge, und
ein unbekanntes Etwas haͤlt mich zuruͤck.

Und kann ich denn keine Blume bluͤhen ſehen
in ihrer Unſchuld an der warmen Erde? muß ich
ſie denn brechen? Anbeten ſollſt du das Heilige,
beruͤhren darfſt du es nicht.

Und heilig iſt die Jungfrau, die Reine, die
Keuſche, weich und zart, wie ungekuͤßte Blumen,
nach Leib und Seele, o Gott, das ſchoͤne Bild
deines keuſchen Geiſtes, deiner klaren, milchweißen
Sonnen — Ein Licht — Eine Seele — Eine laͤ-

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[106/0116] Phaethon an Theodor. Jeden Abend geh’ ich zu Bette mit dem Vorſatz, ihr Morgen um den Hals zu fallen. Und wenn ich dann am folgenden Tage vor ihr ſtehe, und wir allein ſind, und mich’s mit unwiderſtehlichem Drang an ihre Bruſt zieht, da verſchuͤchtert mich ein einziger Blick aus dem ſchwarzen Auge, und ein unbekanntes Etwas haͤlt mich zuruͤck. Und kann ich denn keine Blume bluͤhen ſehen in ihrer Unſchuld an der warmen Erde? muß ich ſie denn brechen? Anbeten ſollſt du das Heilige, beruͤhren darfſt du es nicht. Und heilig iſt die Jungfrau, die Reine, die Keuſche, weich und zart, wie ungekuͤßte Blumen, nach Leib und Seele, o Gott, das ſchoͤne Bild deines keuſchen Geiſtes, deiner klaren, milchweißen Sonnen — Ein Licht — Eine Seele — Eine laͤ-

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/116>, abgerufen am 24.11.2024.