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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Er aber sah' mich an mit ernster Miene und
sprach: Nicht diese Leidenschaft, wilder Jüngling.
Dein inn'res Treiben ist mir nicht verborgen.
Auch ich war einst jung, aber ich ward gebrochen
in meiner Jugend, wie der Zweig in meinen Hän-
den. -- Möchtest du glücklicher seyn!

Und hier seufzt' er, als ob die Brust ihm hätte
zerspringen wollen. Auch er, dacht' ich, auch er,
der starke, feste Mann? ... Freund! sah'st du
schon Felsen zittern, die, in die Erde tief gewur-
zelt, das kühne Riesenhaupt zum Himmel strecken?

Und willst du? fragt' er endlich. O Gott, ich
will! ich will! war das Einzige, was ich konnte
sagen. So wollen wir zu Cäcilie gehen, sagt' er
freundlich. Wir giengen. Mein Herz klopfte. Jch
wagte kein Wort zu sprechen. Caton rief: er will,
er zieht zu uns! -- O Himmel! und wie nun die
Mutter mich bat, gleich in den nächsten Tagen zu
kommen, und Caton sagte: Atalanta, du mußt
ihm die Züge leih'n zu seiner Polyxena, und die
Holde verschämt zur Erde blickte und schwieg .....

Mein Glück' ist vollendet. Jch habe mein Ziel
gefunden, und wandle unter Gestalten, wie kaum

Er aber ſah’ mich an mit ernſter Miene und
ſprach: Nicht dieſe Leidenſchaft, wilder Juͤngling.
Dein inn’res Treiben iſt mir nicht verborgen.
Auch ich war einſt jung, aber ich ward gebrochen
in meiner Jugend, wie der Zweig in meinen Haͤn-
den. — Moͤchteſt du gluͤcklicher ſeyn!

Und hier ſeufzt’ er, als ob die Bruſt ihm haͤtte
zerſpringen wollen. Auch er, dacht’ ich, auch er,
der ſtarke, feſte Mann? … Freund! ſah’ſt du
ſchon Felſen zittern, die, in die Erde tief gewur-
zelt, das kuͤhne Rieſenhaupt zum Himmel ſtrecken?

Und willſt du? fragt’ er endlich. O Gott, ich
will! ich will! war das Einzige, was ich konnte
ſagen. So wollen wir zu Caͤcilie gehen, ſagt’ er
freundlich. Wir giengen. Mein Herz klopfte. Jch
wagte kein Wort zu ſprechen. Caton rief: er will,
er zieht zu uns! — O Himmel! und wie nun die
Mutter mich bat, gleich in den naͤchſten Tagen zu
kommen, und Caton ſagte: Atalanta, du mußt
ihm die Zuͤge leih’n zu ſeiner Polyxena, und die
Holde verſchaͤmt zur Erde blickte und ſchwieg .....

Mein Gluͤck’ iſt vollendet. Jch habe mein Ziel
gefunden, und wandle unter Geſtalten, wie kaum

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[98/0108] Er aber ſah’ mich an mit ernſter Miene und ſprach: Nicht dieſe Leidenſchaft, wilder Juͤngling. Dein inn’res Treiben iſt mir nicht verborgen. Auch ich war einſt jung, aber ich ward gebrochen in meiner Jugend, wie der Zweig in meinen Haͤn- den. — Moͤchteſt du gluͤcklicher ſeyn! Und hier ſeufzt’ er, als ob die Bruſt ihm haͤtte zerſpringen wollen. Auch er, dacht’ ich, auch er, der ſtarke, feſte Mann? … Freund! ſah’ſt du ſchon Felſen zittern, die, in die Erde tief gewur- zelt, das kuͤhne Rieſenhaupt zum Himmel ſtrecken? Und willſt du? fragt’ er endlich. O Gott, ich will! ich will! war das Einzige, was ich konnte ſagen. So wollen wir zu Caͤcilie gehen, ſagt’ er freundlich. Wir giengen. Mein Herz klopfte. Jch wagte kein Wort zu ſprechen. Caton rief: er will, er zieht zu uns! — O Himmel! und wie nun die Mutter mich bat, gleich in den naͤchſten Tagen zu kommen, und Caton ſagte: Atalanta, du mußt ihm die Zuͤge leih’n zu ſeiner Polyxena, und die Holde verſchaͤmt zur Erde blickte und ſchwieg ..... Mein Gluͤck’ iſt vollendet. Jch habe mein Ziel gefunden, und wandle unter Geſtalten, wie kaum

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/108>, abgerufen am 23.11.2024.