digkeit bewegte, konnte daher nur nach willkürlichen Ge¬ setzen und Erfindungen belebt werden; und diese Gesetze und Erfindungen sind die des Contrapunktes.
Der Contrapunkt, in seinen mannigfaltigen Gebur¬ ten und Ausgeburten, ist das künstliche Mitsichselbstspielen der Kunst, die Mathematik des Gefühles, der mechanische Rhythmus der egoistischen Harmonie. In seiner Erfin¬ dung gefiel sich die abstrakte Tonkunst dermaßen, daß sie sich einzig und allein als absolute, für sich bestehende Kunst ausgab; -- als Kunst, die durchaus keinen menschlichen Bedürfnisse, sondern rein sich, ihrem absoluten göttlichen Wesen ihr Dasein danke. Der Willkürliche dünkt sich ganz natürlich auch der absolut Alleinberechtigte. Ihrer eigenen Willkür allein hatte aber allerdings auch die Musik nur ihr selbstständiges Gebahren zu danken, denn einem Seelenbedürfnisse zu entsprechen waren jene tonmechanischen, contrapunktischen Kunstwerkstücke durch¬ aus unfähig. In ihrem Stolze war daher die Musik zu ihrem geraden Gegentheile geworden: aus einer Herzens¬ angelegenheit zur Verstandessache, aus dem Ausdrucke unbegränzter christlicher Gemüthssehnsucht zum Rechnen¬ buche modernjüdischer Börsenspeculation.
Der lebendige Athem der ewig schönen, gefühls¬ adligen Menschenstimme, wie sie aus der Brust des Vol¬ kes unerstorben, immer jung und frisch herausdrang, bließ
digkeit bewegte, konnte daher nur nach willkürlichen Ge¬ ſetzen und Erfindungen belebt werden; und dieſe Geſetze und Erfindungen ſind die des Contrapunktes.
Der Contrapunkt, in ſeinen mannigfaltigen Gebur¬ ten und Ausgeburten, iſt das künſtliche Mitſichſelbſtſpielen der Kunſt, die Mathematik des Gefühles, der mechaniſche Rhythmus der egoiſtiſchen Harmonie. In ſeiner Erfin¬ dung gefiel ſich die abſtrakte Tonkunſt dermaßen, daß ſie ſich einzig und allein als abſolute, für ſich beſtehende Kunſt ausgab; — als Kunſt, die durchaus keinen menſchlichen Bedürfniſſe, ſondern rein ſich, ihrem abſoluten göttlichen Weſen ihr Daſein danke. Der Willkürliche dünkt ſich ganz natürlich auch der abſolut Alleinberechtigte. Ihrer eigenen Willkür allein hatte aber allerdings auch die Muſik nur ihr ſelbſtſtändiges Gebahren zu danken, denn einem Seelenbedürfniſſe zu entſprechen waren jene tonmechaniſchen, contrapunktiſchen Kunſtwerkſtücke durch¬ aus unfähig. In ihrem Stolze war daher die Muſik zu ihrem geraden Gegentheile geworden: aus einer Herzens¬ angelegenheit zur Verſtandesſache, aus dem Ausdrucke unbegränzter chriſtlicher Gemüthsſehnſucht zum Rechnen¬ buche modernjüdiſcher Börſenſpeculation.
Der lebendige Athem der ewig ſchönen, gefühls¬ adligen Menſchenſtimme, wie ſie aus der Bruſt des Vol¬ kes unerſtorben, immer jung und friſch herausdrang, bließ
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digkeit bewegte, konnte daher nur nach willkürlichen Ge¬
ſetzen und Erfindungen belebt werden; und dieſe Geſetze
und Erfindungen ſind die des Contrapunktes.
Der Contrapunkt, in ſeinen mannigfaltigen Gebur¬
ten und Ausgeburten, iſt das künſtliche Mitſichſelbſtſpielen
der Kunſt, die Mathematik des Gefühles, der mechaniſche
Rhythmus der egoiſtiſchen Harmonie. In ſeiner Erfin¬
dung gefiel ſich die abſtrakte Tonkunſt dermaßen, daß ſie
ſich einzig und allein als abſolute, für ſich beſtehende Kunſt
ausgab; — als Kunſt, die durchaus keinen menſchlichen
Bedürfniſſe, ſondern rein ſich, ihrem abſoluten göttlichen
Weſen ihr Daſein danke. Der Willkürliche dünkt ſich
ganz natürlich auch der abſolut Alleinberechtigte. Ihrer
eigenen Willkür allein hatte aber allerdings auch die
Muſik nur ihr ſelbſtſtändiges Gebahren zu danken, denn
einem Seelenbedürfniſſe zu entſprechen waren jene
tonmechaniſchen, contrapunktiſchen Kunſtwerkſtücke durch¬
aus unfähig. In ihrem Stolze war daher die Muſik zu
ihrem geraden Gegentheile geworden: aus einer Herzens¬
angelegenheit zur Verſtandesſache, aus dem Ausdrucke
unbegränzter chriſtlicher Gemüthsſehnſucht zum Rechnen¬
buche modernjüdiſcher Börſenſpeculation.
Der lebendige Athem der ewig ſchönen, gefühls¬
adligen Menſchenſtimme, wie ſie aus der Bruſt des Vol¬
kes unerſtorben, immer jung und friſch herausdrang, bließ
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/96>, abgerufen am 16.02.2025.
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