Ausdehnung des Tonstückes überhaupt, zu geben oder zu bedingen, vermögen die unzähligen Anstandsregeln der Harmonie aber nicht; sie können, als wissenschaftlich lehr- und erlernbarer Theil der Tonkunst, die flüßige Ton¬ masse der Harmonie sondern und zu begränzten Körpern abscheiden, nicht aber das zeitliche Maß dieser begränzten Massen bestimmen.
War die schrankensetzende Macht der Sprache ver¬ schlungen, und konnte die zur Harmonie gewordene Ton¬ kunst unmöglich auch noch ihr zeitlich maßgebendes Gesetz aus sich finden, so mußte sie sich an den Rest des, von der Tanzkunst ihr übrig gelassenen, rhythmischen Taktes wen¬ den; rhythmische Figuren mußten die Harmonie beleben; ihr Wechsel, ihre Wiederkehr, ihre Trennung und Vereini¬ gung, mußten die flüssige Breite der Harmonie; -- wie ursprünglich das Wort den Ton, verdichten und zum zeitlich sichren Abschluß bringen. Eine innere, nach rein menschlicher Darstellung verlangende Nothwendigkeit lag dieser rhythmischen Belebung aber nicht zum Grunde; nicht der fühlende, denkende und wollende Mensch, wie er durch Sprache und Leibesbewegung sich kundgiebt, war ihre treibende Kraft, -- sondern eine in sich aufgenom¬ mene äußere Nothwendigkeit der nach egoistischem Ab¬ schluß verlangenden Harmonie. Dieses rhythmische Wech¬ seln und Gestalten, das sich nicht nach innerer Nothwen¬
Ausdehnung des Tonſtückes überhaupt, zu geben oder zu bedingen, vermögen die unzähligen Anſtandsregeln der Harmonie aber nicht; ſie können, als wiſſenſchaftlich lehr- und erlernbarer Theil der Tonkunſt, die flüßige Ton¬ maſſe der Harmonie ſondern und zu begränzten Körpern abſcheiden, nicht aber das zeitliche Maß dieſer begränzten Maſſen beſtimmen.
War die ſchrankenſetzende Macht der Sprache ver¬ ſchlungen, und konnte die zur Harmonie gewordene Ton¬ kunſt unmöglich auch noch ihr zeitlich maßgebendes Geſetz aus ſich finden, ſo mußte ſie ſich an den Reſt des, von der Tanzkunſt ihr übrig gelaſſenen, rhythmiſchen Taktes wen¬ den; rhythmiſche Figuren mußten die Harmonie beleben; ihr Wechſel, ihre Wiederkehr, ihre Trennung und Vereini¬ gung, mußten die flüſſige Breite der Harmonie; — wie urſprünglich das Wort den Ton, verdichten und zum zeitlich ſichren Abſchluß bringen. Eine innere, nach rein menſchlicher Darſtellung verlangende Nothwendigkeit lag dieſer rhythmiſchen Belebung aber nicht zum Grunde; nicht der fühlende, denkende und wollende Menſch, wie er durch Sprache und Leibesbewegung ſich kundgiebt, war ihre treibende Kraft, — ſondern eine in ſich aufgenom¬ mene äußere Nothwendigkeit der nach egoiſtiſchem Ab¬ ſchluß verlangenden Harmonie. Dieſes rhythmiſche Wech¬ ſeln und Geſtalten, das ſich nicht nach innerer Nothwen¬
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Ausdehnung des Tonſtückes überhaupt, zu geben oder zu
bedingen, vermögen die unzähligen Anſtandsregeln der
Harmonie aber nicht; ſie können, als wiſſenſchaftlich lehr-
und erlernbarer Theil der Tonkunſt, die flüßige Ton¬
maſſe der Harmonie ſondern und zu begränzten Körpern
abſcheiden, nicht aber das zeitliche Maß dieſer begränzten
Maſſen beſtimmen.
War die ſchrankenſetzende Macht der Sprache ver¬
ſchlungen, und konnte die zur Harmonie gewordene Ton¬
kunſt unmöglich auch noch ihr zeitlich maßgebendes Geſetz
aus ſich finden, ſo mußte ſie ſich an den Reſt des, von der
Tanzkunſt ihr übrig gelaſſenen, rhythmiſchen Taktes wen¬
den; rhythmiſche Figuren mußten die Harmonie beleben;
ihr Wechſel, ihre Wiederkehr, ihre Trennung und Vereini¬
gung, mußten die flüſſige Breite der Harmonie; — wie
urſprünglich das Wort den Ton, verdichten und zum
zeitlich ſichren Abſchluß bringen. Eine innere, nach rein
menſchlicher Darſtellung verlangende Nothwendigkeit lag
dieſer rhythmiſchen Belebung aber nicht zum Grunde;
nicht der fühlende, denkende und wollende Menſch, wie er
durch Sprache und Leibesbewegung ſich kundgiebt, war
ihre treibende Kraft, — ſondern eine in ſich aufgenom¬
mene äußere Nothwendigkeit der nach egoiſtiſchem Ab¬
ſchluß verlangenden Harmonie. Dieſes rhythmiſche Wech¬
ſeln und Geſtalten, das ſich nicht nach innerer Nothwen¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/95>, abgerufen am 16.02.2025.
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