grimmig über Bord warf und nun aller Bande ledig, steuerlos der unerschöpflichen Willkür der Meereswogen sich übergab. In ungestillter, zorniger Liebeswuth regte er die Tiefen des Meeres gegen den unerreichbaren Himmel auf: die Unersättlichkeit der Gier des Liebens und Sehnens selbst, das gegenstandslos ewig und ewig nur sich selbst lieben und ersehnen muß, -- diese tiefste, unerlösbarste Hölle des rastlosesten Egoismus, der ohne Ende sich ausdehnt, wünscht und will, und ewig und ewig doch nur sich wün¬ schen und wollen kann, -- trieb er gegen die abstrakte blaue Himmelsallgemeinheit an, -- das gegenstandsbedürftigste allgemeine Verlangen -- gegen die absolute Ungegenständ¬ lichkeit selbst. Selig, unbedingt selig, im weitesten, un¬ gemessensten Sinne selig sein, und zugleich doch ganz es selbst bleiben zu wollen, war die unersättliche Sehnsucht des christlichen Gemüthes. So hob sich das Meer aus seinen Tiefen zum Himmel, so sank es vom Himmel immer wieder zu seinen Tiefen zurück; ewig es selbst, und deshalb ewig unbefriedigt, -- wie das maßlose, allbeherrschende Sehnen des Herzens, das nie sich geben, in einem Gegenstande aufgehen zu dürfen, sondern nur es selbst zu sein sich ver¬ dammt.
Doch in der Natur ringt alles Unmäßige nach Maß; alles Gränzenlose ziehet sich selbst Gränzen; die Elemente verdichten sich endlich zur bestimmten Erscheinung, und auch
grimmig über Bord warf und nun aller Bande ledig, ſteuerlos der unerſchöpflichen Willkür der Meereswogen ſich übergab. In ungeſtillter, zorniger Liebeswuth regte er die Tiefen des Meeres gegen den unerreichbaren Himmel auf: die Unerſättlichkeit der Gier des Liebens und Sehnens ſelbſt, das gegenſtandslos ewig und ewig nur ſich ſelbſt lieben und erſehnen muß, — dieſe tiefſte, unerlösbarſte Hölle des raſtloſeſten Egoismus, der ohne Ende ſich ausdehnt, wünſcht und will, und ewig und ewig doch nur ſich wün¬ ſchen und wollen kann, — trieb er gegen die abſtrakte blaue Himmelsallgemeinheit an, — das gegenſtandsbedürftigſte allgemeine Verlangen — gegen die abſolute Ungegenſtänd¬ lichkeit ſelbſt. Selig, unbedingt ſelig, im weiteſten, un¬ gemeſſenſten Sinne ſelig ſein, und zugleich doch ganz es ſelbſt bleiben zu wollen, war die unerſättliche Sehnſucht des chriſtlichen Gemüthes. So hob ſich das Meer aus ſeinen Tiefen zum Himmel, ſo ſank es vom Himmel immer wieder zu ſeinen Tiefen zurück; ewig es ſelbſt, und deshalb ewig unbefriedigt, — wie das maßloſe, allbeherrſchende Sehnen des Herzens, das nie ſich geben, in einem Gegenſtande aufgehen zu dürfen, ſondern nur es ſelbſt zu ſein ſich ver¬ dammt.
Doch in der Natur ringt alles Unmäßige nach Maß; alles Gränzenloſe ziehet ſich ſelbſt Gränzen; die Elemente verdichten ſich endlich zur beſtimmten Erſcheinung, und auch
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grimmig über Bord warf und nun aller Bande ledig,
ſteuerlos der unerſchöpflichen Willkür der Meereswogen ſich
übergab. In ungeſtillter, zorniger Liebeswuth regte er
die Tiefen des Meeres gegen den unerreichbaren Himmel auf:
die Unerſättlichkeit der Gier des Liebens und Sehnens ſelbſt,
das gegenſtandslos ewig und ewig nur ſich ſelbſt lieben und
erſehnen muß, — dieſe tiefſte, unerlösbarſte Hölle des
raſtloſeſten Egoismus, der ohne Ende ſich ausdehnt,
wünſcht und will, und ewig und ewig doch nur ſich wün¬
ſchen und wollen kann, — trieb er gegen die abſtrakte blaue
Himmelsallgemeinheit an, — das gegenſtandsbedürftigſte
allgemeine Verlangen — gegen die abſolute Ungegenſtänd¬
lichkeit ſelbſt. Selig, unbedingt ſelig, im weiteſten, un¬
gemeſſenſten Sinne ſelig ſein, und zugleich doch ganz es
ſelbſt bleiben zu wollen, war die unerſättliche Sehnſucht
des chriſtlichen Gemüthes. So hob ſich das Meer aus ſeinen
Tiefen zum Himmel, ſo ſank es vom Himmel immer wieder
zu ſeinen Tiefen zurück; ewig es ſelbſt, und deshalb ewig
unbefriedigt, — wie das maßloſe, allbeherrſchende Sehnen
des Herzens, das nie ſich geben, in einem Gegenſtande
aufgehen zu dürfen, ſondern nur es ſelbſt zu ſein ſich ver¬
dammt.
Doch in der Natur ringt alles Unmäßige nach Maß;
alles Gränzenloſe ziehet ſich ſelbſt Gränzen; die Elemente
verdichten ſich endlich zur beſtimmten Erſcheinung, und auch
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/90>, abgerufen am 22.07.2024.
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