Der Hellene, wenn er sein Meer beschiffte, verlor nie das Küstenland aus dem Auge: ihm war es der sichere Strom, der ihn von Gestade zu Gestade trug, auf dem er zwischen den wohlvertrauten Ufern nach dem melodischen Takte der Ruder dahinfuhr, -- dort das Auge dem Tanze der Waldnymphen, dort das Ohr dem Götterhymnus zu¬ gewandt, dessen sinnig melodischen Wortreigen die Lüfte aus dem Tempel von der Berghöhe ihm zuführten. Auf der Fläche des Wassers spiegelten sich ihm, von blauem Aethersaume begränzt, getreu die Küsten des Landes mit Felsen, Thälern, Bäumen, Blumen und Menschen: und dieses reizend wogende, vom frischen Fächeln der Lüfte an¬ muthig bewegte Spiegelbild dünkte ihm Harmonie. --
Von den Ufern des Lebens schied sich der Christ. Weiter und unbegränzter suchte er das Meer auf, um end¬ lich auf dem Oceane zwischen Meer und Himmel gränzen¬ los allein zu sein. Das Wort, das Wort des Glaubens war sein Kompaß, der ihn unverwandt nur nach dem Himmel wieß. Ueber ihm schwebte dieser Himmel, nach jedem Horizonte hin senkte er sich als Grenze des Meeres herab; nie aber erreichte der Segler diese Gränze: von Jahrhundert zu Jahrhundert schwamm er unerlöst der im¬ mer vorschwebenden und nie doch erreichten neuen Heimath zu, bis ihn der Zweifel an die Tugend seines Kompaßes erfaßte, bis er auch ihn als letztes menschliches Gaukelwerk
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Der Hellene, wenn er ſein Meer beſchiffte, verlor nie das Küſtenland aus dem Auge: ihm war es der ſichere Strom, der ihn von Geſtade zu Geſtade trug, auf dem er zwiſchen den wohlvertrauten Ufern nach dem melodiſchen Takte der Ruder dahinfuhr, — dort das Auge dem Tanze der Waldnymphen, dort das Ohr dem Götterhymnus zu¬ gewandt, deſſen ſinnig melodiſchen Wortreigen die Lüfte aus dem Tempel von der Berghöhe ihm zuführten. Auf der Fläche des Waſſers ſpiegelten ſich ihm, von blauem Aetherſaume begränzt, getreu die Küſten des Landes mit Felſen, Thälern, Bäumen, Blumen und Menſchen: und dieſes reizend wogende, vom friſchen Fächeln der Lüfte an¬ muthig bewegte Spiegelbild dünkte ihm Harmonie. —
Von den Ufern des Lebens ſchied ſich der Chriſt. Weiter und unbegränzter ſuchte er das Meer auf, um end¬ lich auf dem Oceane zwiſchen Meer und Himmel gränzen¬ los allein zu ſein. Das Wort, das Wort des Glaubens war ſein Kompaß, der ihn unverwandt nur nach dem Himmel wieß. Ueber ihm ſchwebte dieſer Himmel, nach jedem Horizonte hin ſenkte er ſich als Grenze des Meeres herab; nie aber erreichte der Segler dieſe Gränze: von Jahrhundert zu Jahrhundert ſchwamm er unerlöſt der im¬ mer vorſchwebenden und nie doch erreichten neuen Heimath zu, bis ihn der Zweifel an die Tugend ſeines Kompaßes erfaßte, bis er auch ihn als letztes menſchliches Gaukelwerk
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Der Hellene, wenn er ſein Meer beſchiffte, verlor
nie das Küſtenland aus dem Auge: ihm war es der ſichere
Strom, der ihn von Geſtade zu Geſtade trug, auf dem
er zwiſchen den wohlvertrauten Ufern nach dem melodiſchen
Takte der Ruder dahinfuhr, — dort das Auge dem Tanze
der Waldnymphen, dort das Ohr dem Götterhymnus zu¬
gewandt, deſſen ſinnig melodiſchen Wortreigen die Lüfte
aus dem Tempel von der Berghöhe ihm zuführten. Auf
der Fläche des Waſſers ſpiegelten ſich ihm, von blauem
Aetherſaume begränzt, getreu die Küſten des Landes mit
Felſen, Thälern, Bäumen, Blumen und Menſchen: und
dieſes reizend wogende, vom friſchen Fächeln der Lüfte an¬
muthig bewegte Spiegelbild dünkte ihm Harmonie. —
Von den Ufern des Lebens ſchied ſich der Chriſt.
Weiter und unbegränzter ſuchte er das Meer auf, um end¬
lich auf dem Oceane zwiſchen Meer und Himmel gränzen¬
los allein zu ſein. Das Wort, das Wort des Glaubens
war ſein Kompaß, der ihn unverwandt nur nach dem
Himmel wieß. Ueber ihm ſchwebte dieſer Himmel, nach
jedem Horizonte hin ſenkte er ſich als Grenze des Meeres
herab; nie aber erreichte der Segler dieſe Gränze: von
Jahrhundert zu Jahrhundert ſchwamm er unerlöſt der im¬
mer vorſchwebenden und nie doch erreichten neuen Heimath
zu, bis ihn der Zweifel an die Tugend ſeines Kompaßes
erfaßte, bis er auch ihn als letztes menſchliches Gaukelwerk
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/89>, abgerufen am 16.02.2025.
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