Das Meer trennt und verbindet die Länder: so trennt und verbindet die Tonkunst die zwei äußersten Gegensätze menschlicher Kunst, die Tanz- und Dichtkunst.
Sie ist das Herz des Menschen; das Blut, das von ihm aus seinen Umlauf nimmt, giebt dem nach außen ge¬ wandten Fleische seine warme, lebenvolle Farbe, -- die nach innen strebenden Nerven des Gehirnes nährt es aber mit wellender Schwungkraft. Ohne die Thätigkeit des Herzens bliebe die Thätigkeit des Gehirnes nur ein mechanisches Kunststück; die Thätigkeit der äußeren Leibesglieder ein ebenso mechanisches, gefühlloses Ge¬ bahren. Durch das Herz fühlt der Verstand sich dem gan¬ zen Leibe verwandt, schwingt der bloße Sinnenmensch sich zur Verstandesthätigkeit empor.
Das Organ des Herzens aber ist der Ton; seine künstlerisch bewußte Sprache, die Tonkunst. Sie ist die volle, wallende Herzensliebe, die das sinnliche Lust¬ empfinden adelt, und den unsinnlichen Gedanken vermensch¬ licht. Durch die Tonkunst verstehen sich Tanz und Dicht¬ kunst: in ihr berühren sich mit liebevollem Durchdringen die Gesetze, nach denen Beide ihrer Natur gemäß sich kund¬ geben; in ihr wird das Wollen beider zum Unwillkürlichen,
4. Tonkunſt.
Das Meer trennt und verbindet die Länder: ſo trennt und verbindet die Tonkunſt die zwei äußerſten Gegenſätze menſchlicher Kunſt, die Tanz- und Dichtkunſt.
Sie iſt das Herz des Menſchen; das Blut, das von ihm aus ſeinen Umlauf nimmt, giebt dem nach außen ge¬ wandten Fleiſche ſeine warme, lebenvolle Farbe, — die nach innen ſtrebenden Nerven des Gehirnes nährt es aber mit wellender Schwungkraft. Ohne die Thätigkeit des Herzens bliebe die Thätigkeit des Gehirnes nur ein mechaniſches Kunſtſtück; die Thätigkeit der äußeren Leibesglieder ein ebenſo mechaniſches, gefühlloſes Ge¬ bahren. Durch das Herz fühlt der Verſtand ſich dem gan¬ zen Leibe verwandt, ſchwingt der bloße Sinnenmenſch ſich zur Verſtandesthätigkeit empor.
Das Organ des Herzens aber iſt der Ton; ſeine künſtleriſch bewußte Sprache, die Tonkunſt. Sie iſt die volle, wallende Herzensliebe, die das ſinnliche Luſt¬ empfinden adelt, und den unſinnlichen Gedanken vermenſch¬ licht. Durch die Tonkunſt verſtehen ſich Tanz und Dicht¬ kunſt: in ihr berühren ſich mit liebevollem Durchdringen die Geſetze, nach denen Beide ihrer Natur gemäß ſich kund¬ geben; in ihr wird das Wollen beider zum Unwillkürlichen,
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4.
Tonkunſt.
Das Meer trennt und verbindet die Länder: ſo trennt
und verbindet die Tonkunſt die zwei äußerſten Gegenſätze
menſchlicher Kunſt, die Tanz- und Dichtkunſt.
Sie iſt das Herz des Menſchen; das Blut, das von
ihm aus ſeinen Umlauf nimmt, giebt dem nach außen ge¬
wandten Fleiſche ſeine warme, lebenvolle Farbe, — die
nach innen ſtrebenden Nerven des Gehirnes nährt es aber
mit wellender Schwungkraft. Ohne die Thätigkeit des
Herzens bliebe die Thätigkeit des Gehirnes nur ein
mechaniſches Kunſtſtück; die Thätigkeit der äußeren
Leibesglieder ein ebenſo mechaniſches, gefühlloſes Ge¬
bahren. Durch das Herz fühlt der Verſtand ſich dem gan¬
zen Leibe verwandt, ſchwingt der bloße Sinnenmenſch ſich
zur Verſtandesthätigkeit empor.
Das Organ des Herzens aber iſt der Ton; ſeine
künſtleriſch bewußte Sprache, die Tonkunſt. Sie iſt die
volle, wallende Herzensliebe, die das ſinnliche Luſt¬
empfinden adelt, und den unſinnlichen Gedanken vermenſch¬
licht. Durch die Tonkunſt verſtehen ſich Tanz und Dicht¬
kunſt: in ihr berühren ſich mit liebevollem Durchdringen
die Geſetze, nach denen Beide ihrer Natur gemäß ſich kund¬
geben; in ihr wird das Wollen beider zum Unwillkürlichen,
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/84>, abgerufen am 03.03.2025.
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