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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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nicht mit einem außer ihr begründeten Lebenselemente
sich zu vermischen, weil sie selbst sich nicht zu geben ver¬
mag.

So läßt sich unsre moderne Tanzkunst in der Pan¬
tomime
auch zu der Absicht des Drama's an; sie will,
wie jede vereinsamte egoistische Kunstart, für sich Alles
sein, Alles können und Alles allein vermögen; sie will
Menschen, menschliche Vorfälle, Zustände, Conflicte,
Charactere und Beweggründe darstellen, ohne von der
Fähigkeit, durch welche der Mensch erst fertig ist, der
Sprache, Gebrauch zu machen; sie will dichten, ohne der
Dichtkunst sich zuzugesellen. Was gebiert sie nun in dieser
spröden Unvermischtheit und "Unabhängigkeit?" Das aller¬
abhängigste, krüppelhaft verstümmeltste Geschöpf: Menschen,
die nicht reden können, und nicht etwa, weil ihnen durch
ein Unglück die Gabe der Sprache versagt wäre, sondern
die aus Eigensinn nicht sprechen wollen; Darsteller, die uns
jeden Augenblick aus einer unseligen Verzauberung erlöst
dünken, sobald sie es einmal über sich gewännen dem pein¬
lichen Stammeln der Gebärde durch ein gesund gesproche¬
nes Wort ein Ende zu machen, denen aber die Regeln
und Vorschriften der pantomimischen Tanzkunst verbieten,
durch einen natürlichen Sprachlaut ihr unbeflecktes Tanz¬
selbstständigkeitsgefühl zu entweihen.

nicht mit einem außer ihr begründeten Lebenselemente
ſich zu vermiſchen, weil ſie ſelbſt ſich nicht zu geben ver¬
mag.

So läßt ſich unſre moderne Tanzkunſt in der Pan¬
tomime
auch zu der Abſicht des Drama's an; ſie will,
wie jede vereinſamte egoiſtiſche Kunſtart, für ſich Alles
ſein, Alles können und Alles allein vermögen; ſie will
Menſchen, menſchliche Vorfälle, Zuſtände, Conflicte,
Charactere und Beweggründe darſtellen, ohne von der
Fähigkeit, durch welche der Menſch erſt fertig iſt, der
Sprache, Gebrauch zu machen; ſie will dichten, ohne der
Dichtkunſt ſich zuzugeſellen. Was gebiert ſie nun in dieſer
ſpröden Unvermiſchtheit und „Unabhängigkeit?“ Das aller¬
abhängigſte, krüppelhaft verſtümmeltſte Geſchöpf: Menſchen,
die nicht reden können, und nicht etwa, weil ihnen durch
ein Unglück die Gabe der Sprache verſagt wäre, ſondern
die aus Eigenſinn nicht ſprechen wollen; Darſteller, die uns
jeden Augenblick aus einer unſeligen Verzauberung erlöſt
dünken, ſobald ſie es einmal über ſich gewännen dem pein¬
lichen Stammeln der Gebärde durch ein geſund geſproche¬
nes Wort ein Ende zu machen, denen aber die Regeln
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[66/0082] nicht mit einem außer ihr begründeten Lebenselemente ſich zu vermiſchen, weil ſie ſelbſt ſich nicht zu geben ver¬ mag. So läßt ſich unſre moderne Tanzkunſt in der Pan¬ tomime auch zu der Abſicht des Drama's an; ſie will, wie jede vereinſamte egoiſtiſche Kunſtart, für ſich Alles ſein, Alles können und Alles allein vermögen; ſie will Menſchen, menſchliche Vorfälle, Zuſtände, Conflicte, Charactere und Beweggründe darſtellen, ohne von der Fähigkeit, durch welche der Menſch erſt fertig iſt, der Sprache, Gebrauch zu machen; ſie will dichten, ohne der Dichtkunſt ſich zuzugeſellen. Was gebiert ſie nun in dieſer ſpröden Unvermiſchtheit und „Unabhängigkeit?“ Das aller¬ abhängigſte, krüppelhaft verſtümmeltſte Geſchöpf: Menſchen, die nicht reden können, und nicht etwa, weil ihnen durch ein Unglück die Gabe der Sprache verſagt wäre, ſondern die aus Eigenſinn nicht ſprechen wollen; Darſteller, die uns jeden Augenblick aus einer unſeligen Verzauberung erlöſt dünken, ſobald ſie es einmal über ſich gewännen dem pein¬ lichen Stammeln der Gebärde durch ein geſund geſproche¬ nes Wort ein Ende zu machen, denen aber die Regeln und Vorſchriften der pantomimiſchen Tanzkunſt verbieten, durch einen natürlichen Sprachlaut ihr unbeflecktes Tanz¬ ſelbſtſtändigkeitsgefühl zu entweihen.

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/82>, abgerufen am 24.11.2024.