nur eine Compilation dieser Volkstänze: die Volksweise jeder Nationalität wird von ihr aufgenommen, verwendet, entstellt -- aber nicht weiter entwickelt, weil sie -- als Kunst -- immer nur von fremder Nahrung sich erhält. Ihr Verfahren ist daher immer nur ein absichtsvolles, künstliches Nachahmen, Zusammensetzen, ein Ineinander¬ schieben, keineswegs aber Zeugen und Neugestalten; ihr Wesen ist das der Mode, die aus bloßem Verlangen nach Abwechselung heute dieser, morgen jener Weise den Vor¬ zug giebt. Sie muß sich daher willkürliche Systeme machen, ihre Absicht in Regeln bringen, in unnöthigen Voraussetzungen und Annahmen sich kund geben, um von ihren Jüngern begriffen und ausgeführt werden zu kön¬ nen. Diese Systeme und Regeln vereinsamen sie aber als Kunst vollends ganz, und verwehren ihr jede gesunde Verbindung zur gemeinschaftlichen Wirksamkeit mit einer anderen Kunstart. Die nur durch Gesetze und willkürliche Normen am künstlichen Leben erhaltene Unnatur ist durch¬ aus egoistisch, und wie sie aus sich selbst zeugungsunfähig ist, wird ihr auch jede Begattung unmöglich.
Diese Kunst hat daher kein Liebesbedürfniß; sie kann nur nehmen, nicht aber geben; sie zieht allen fremden Lebensstoff in sich hinein, zersetzt und verzehrt ihn, löst ihn in ihr eigenes unfruchtbares Wesen auf, vermag aber
nur eine Compilation dieſer Volkstänze: die Volksweiſe jeder Nationalität wird von ihr aufgenommen, verwendet, entſtellt — aber nicht weiter entwickelt, weil ſie — als Kunſt — immer nur von fremder Nahrung ſich erhält. Ihr Verfahren iſt daher immer nur ein abſichtsvolles, künſtliches Nachahmen, Zuſammenſetzen, ein Ineinander¬ ſchieben, keineswegs aber Zeugen und Neugeſtalten; ihr Weſen iſt das der Mode, die aus bloßem Verlangen nach Abwechſelung heute dieſer, morgen jener Weiſe den Vor¬ zug giebt. Sie muß ſich daher willkürliche Syſteme machen, ihre Abſicht in Regeln bringen, in unnöthigen Vorausſetzungen und Annahmen ſich kund geben, um von ihren Jüngern begriffen und ausgeführt werden zu kön¬ nen. Dieſe Syſteme und Regeln vereinſamen ſie aber als Kunſt vollends ganz, und verwehren ihr jede geſunde Verbindung zur gemeinſchaftlichen Wirkſamkeit mit einer anderen Kunſtart. Die nur durch Geſetze und willkürliche Normen am künſtlichen Leben erhaltene Unnatur iſt durch¬ aus egoiſtiſch, und wie ſie aus ſich ſelbſt zeugungsunfähig iſt, wird ihr auch jede Begattung unmöglich.
Dieſe Kunſt hat daher kein Liebesbedürfniß; ſie kann nur nehmen, nicht aber geben; ſie zieht allen fremden Lebensſtoff in ſich hinein, zerſetzt und verzehrt ihn, löſt ihn in ihr eigenes unfruchtbares Weſen auf, vermag aber
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nur eine Compilation dieſer Volkstänze: die Volksweiſe
jeder Nationalität wird von ihr aufgenommen, verwendet,
entſtellt — aber nicht weiter entwickelt, weil ſie — als
Kunſt — immer nur von fremder Nahrung ſich erhält.
Ihr Verfahren iſt daher immer nur ein abſichtsvolles,
künſtliches Nachahmen, Zuſammenſetzen, ein Ineinander¬
ſchieben, keineswegs aber Zeugen und Neugeſtalten; ihr
Weſen iſt das der Mode, die aus bloßem Verlangen nach
Abwechſelung heute dieſer, morgen jener Weiſe den Vor¬
zug giebt. Sie muß ſich daher willkürliche Syſteme
machen, ihre Abſicht in Regeln bringen, in unnöthigen
Vorausſetzungen und Annahmen ſich kund geben, um von
ihren Jüngern begriffen und ausgeführt werden zu kön¬
nen. Dieſe Syſteme und Regeln vereinſamen ſie aber
als Kunſt vollends ganz, und verwehren ihr jede geſunde
Verbindung zur gemeinſchaftlichen Wirkſamkeit mit einer
anderen Kunſtart. Die nur durch Geſetze und willkürliche
Normen am künſtlichen Leben erhaltene Unnatur iſt durch¬
aus egoiſtiſch, und wie ſie aus ſich ſelbſt zeugungsunfähig iſt,
wird ihr auch jede Begattung unmöglich.
Dieſe Kunſt hat daher kein Liebesbedürfniß; ſie kann
nur nehmen, nicht aber geben; ſie zieht allen fremden
Lebensſtoff in ſich hinein, zerſetzt und verzehrt ihn, löſt
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/81>, abgerufen am 16.02.2025.
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