Tonkunst und der Dichtkunst möglich, weil in der ver¬ wandten Fähigkeit und unter den Anregungen dieser Künste, sie ihre eigenthümliche Fähigkeit allein im vollsten Maße entfalten und erweitern kann. Das Kunstwerk der griechischen Lyrik zeigt uns, wie die, der Tanzkunst eigen¬ thümlichen Gesetze des Rhythmus, in der Tonkunst und namentlich in der Dichtkunst, durch die Eigenthümlichkeit gerade dieser Künste, wieder unendlich mannigfaltig und charakteristisch weiter entwickelt und bereichert, der Tanz¬ kunst unerschöpflich neue Anregung zum Auffinden neuer, ihr wiederum eigenthümlicher Bewegungen gaben, und wie so in lebensfreudiger, überreicher Wechselwirkung die Eigenthümlichkeit einer jeden Kunstart zu ihrer vollendet¬ sten Fülle sich erheben konnte. Dem modernen Volkstanze durften die Früchte solcher Wechselwirkung nicht zu gut kommen: wie alle Volkskunst der modernen Nationen durch die Einwirkung des Christenthumes und der christ¬ lich-staatlichen Civilisation in ihrem Keime zurückgedrängt wurde, hat auch er, als einsame Pflanzenart, nie zu reicher mannigfaltiger Entwickelung gedeihen können. Dennoch sind die einzigen eigenthümlichen Erscheinungen im Gebiete des Tanzes, die unserer heutigen Welt bekannt werden, nur die Produkte des Volkes, wie sie dem Charakter bald dieser oder jener Nationalität entkeimten oder selbst noch entkeimen. Alle unsre civilisirte eigentliche Tanzkunst ist
Tonkunſt und der Dichtkunſt möglich, weil in der ver¬ wandten Fähigkeit und unter den Anregungen dieſer Künſte, ſie ihre eigenthümliche Fähigkeit allein im vollſten Maße entfalten und erweitern kann. Das Kunſtwerk der griechiſchen Lyrik zeigt uns, wie die, der Tanzkunſt eigen¬ thümlichen Geſetze des Rhythmus, in der Tonkunſt und namentlich in der Dichtkunſt, durch die Eigenthümlichkeit gerade dieſer Künſte, wieder unendlich mannigfaltig und charakteriſtiſch weiter entwickelt und bereichert, der Tanz¬ kunſt unerſchöpflich neue Anregung zum Auffinden neuer, ihr wiederum eigenthümlicher Bewegungen gaben, und wie ſo in lebensfreudiger, überreicher Wechſelwirkung die Eigenthümlichkeit einer jeden Kunſtart zu ihrer vollendet¬ ſten Fülle ſich erheben konnte. Dem modernen Volkstanze durften die Früchte ſolcher Wechſelwirkung nicht zu gut kommen: wie alle Volkskunſt der modernen Nationen durch die Einwirkung des Chriſtenthumes und der chriſt¬ lich-ſtaatlichen Civiliſation in ihrem Keime zurückgedrängt wurde, hat auch er, als einſame Pflanzenart, nie zu reicher mannigfaltiger Entwickelung gedeihen können. Dennoch ſind die einzigen eigenthümlichen Erſcheinungen im Gebiete des Tanzes, die unſerer heutigen Welt bekannt werden, nur die Produkte des Volkes, wie ſie dem Charakter bald dieſer oder jener Nationalität entkeimten oder ſelbſt noch entkeimen. Alle unſre civiliſirte eigentliche Tanzkunſt iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0080"n="64"/>
Tonkunſt und der Dichtkunſt möglich, weil in der ver¬<lb/>
wandten Fähigkeit und unter den Anregungen dieſer<lb/>
Künſte, ſie ihre eigenthümliche Fähigkeit allein im vollſten<lb/>
Maße entfalten und erweitern kann. Das Kunſtwerk der<lb/>
griechiſchen Lyrik zeigt uns, wie die, der Tanzkunſt eigen¬<lb/>
thümlichen Geſetze des Rhythmus, in der Tonkunſt und<lb/>
namentlich in der Dichtkunſt, durch die Eigenthümlichkeit<lb/>
gerade <hirendition="#g">dieſer</hi> Künſte, wieder unendlich mannigfaltig und<lb/>
charakteriſtiſch weiter entwickelt und bereichert, der Tanz¬<lb/>
kunſt unerſchöpflich neue Anregung zum Auffinden neuer,<lb/>
ihr wiederum eigenthümlicher Bewegungen gaben, und wie<lb/>ſo in lebensfreudiger, überreicher Wechſelwirkung die<lb/>
Eigenthümlichkeit einer jeden Kunſtart zu ihrer vollendet¬<lb/>ſten Fülle ſich erheben konnte. Dem modernen Volkstanze<lb/>
durften die Früchte ſolcher Wechſelwirkung nicht zu gut<lb/>
kommen: wie alle Volkskunſt der modernen Nationen<lb/>
durch die Einwirkung des Chriſtenthumes und der chriſt¬<lb/>
lich-ſtaatlichen Civiliſation in ihrem Keime zurückgedrängt<lb/>
wurde, hat auch er, als einſame Pflanzenart, nie zu reicher<lb/>
mannigfaltiger Entwickelung gedeihen können. Dennoch<lb/>ſind die einzigen eigenthümlichen Erſcheinungen im Gebiete<lb/>
des Tanzes, die unſerer heutigen Welt bekannt werden,<lb/>
nur die Produkte des Volkes, wie ſie dem Charakter bald<lb/>
dieſer oder jener Nationalität entkeimten oder ſelbſt noch<lb/>
entkeimen. Alle unſre civiliſirte eigentliche Tanzkunſt iſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0080]
Tonkunſt und der Dichtkunſt möglich, weil in der ver¬
wandten Fähigkeit und unter den Anregungen dieſer
Künſte, ſie ihre eigenthümliche Fähigkeit allein im vollſten
Maße entfalten und erweitern kann. Das Kunſtwerk der
griechiſchen Lyrik zeigt uns, wie die, der Tanzkunſt eigen¬
thümlichen Geſetze des Rhythmus, in der Tonkunſt und
namentlich in der Dichtkunſt, durch die Eigenthümlichkeit
gerade dieſer Künſte, wieder unendlich mannigfaltig und
charakteriſtiſch weiter entwickelt und bereichert, der Tanz¬
kunſt unerſchöpflich neue Anregung zum Auffinden neuer,
ihr wiederum eigenthümlicher Bewegungen gaben, und wie
ſo in lebensfreudiger, überreicher Wechſelwirkung die
Eigenthümlichkeit einer jeden Kunſtart zu ihrer vollendet¬
ſten Fülle ſich erheben konnte. Dem modernen Volkstanze
durften die Früchte ſolcher Wechſelwirkung nicht zu gut
kommen: wie alle Volkskunſt der modernen Nationen
durch die Einwirkung des Chriſtenthumes und der chriſt¬
lich-ſtaatlichen Civiliſation in ihrem Keime zurückgedrängt
wurde, hat auch er, als einſame Pflanzenart, nie zu reicher
mannigfaltiger Entwickelung gedeihen können. Dennoch
ſind die einzigen eigenthümlichen Erſcheinungen im Gebiete
des Tanzes, die unſerer heutigen Welt bekannt werden,
nur die Produkte des Volkes, wie ſie dem Charakter bald
dieſer oder jener Nationalität entkeimten oder ſelbſt noch
entkeimen. Alle unſre civiliſirte eigentliche Tanzkunſt iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/80>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.