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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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det sei, und forderte ihn als Bedingung ihres abgesonder¬
ten Lebens, für sich allein zurück. Gern entsagte sie dem
gefühlvollen Tone der Stimme ihrer Schwester; durch
diese Stimme, deren Mark das Wort der Dichtkunst
war, hätte sie sich ja unerlösbar an diese hochmüthige
Leiterin gefesselt fühlen müssen! Aber jenes Werkzeug
aus Holz oder Metall, das musikalische Instrument,
das ihre Schwester -- im liebevollen Drange, auch
den todten Stoffen der Natur ihren seelenvollen Athem
einzuhauchen -- zur Unterstützung und Steigerung ihrer
Stimme sich gebildet hatte, -- dieß Werkzeug, das ja
genügend die Fähigkeit besaß, ihr das nothwendige lei¬
tende Maß des Taktes und des Rhythmus' -- sogar mit
Nachahmung des Stimmentonreizes der Schwester --
darzustellen -- das musikalische Instrument nahm sie mit
sich, ließ unbekümmert die Schwester Tonkunst im Glau¬
ben an das Wort durch den uferlosen Strom christlicher
Harmonie dahin schwimmen, und warf mit leichtfertigem
Selbstvertrauen sich in die luxusbedürftigen Räume der
Welt.

Wir kennen diese hochaufgeschürzte Gestalt: wer ist
ihr nicht begegnet? Ueberall wo plumpes modernes
Behagen zum Verlangen nach Unterhaltung sich anläßt,
stellt sie sich mit höchster Gefälligkeit ein und leistet für's
Geld was man nur will. Ihre höchste Fähigkeit, mit der

det ſei, und forderte ihn als Bedingung ihres abgeſonder¬
ten Lebens, für ſich allein zurück. Gern entſagte ſie dem
gefühlvollen Tone der Stimme ihrer Schweſter; durch
dieſe Stimme, deren Mark das Wort der Dichtkunſt
war, hätte ſie ſich ja unerlösbar an dieſe hochmüthige
Leiterin gefeſſelt fühlen müſſen! Aber jenes Werkzeug
aus Holz oder Metall, das muſikaliſche Inſtrument,
das ihre Schweſter — im liebevollen Drange, auch
den todten Stoffen der Natur ihren ſeelenvollen Athem
einzuhauchen — zur Unterſtützung und Steigerung ihrer
Stimme ſich gebildet hatte, — dieß Werkzeug, das ja
genügend die Fähigkeit beſaß, ihr das nothwendige lei¬
tende Maß des Taktes und des Rhythmus' — ſogar mit
Nachahmung des Stimmentonreizes der Schweſter —
darzuſtellen — das muſikaliſche Inſtrument nahm ſie mit
ſich, ließ unbekümmert die Schweſter Tonkunſt im Glau¬
ben an das Wort durch den uferloſen Strom chriſtlicher
Harmonie dahin ſchwimmen, und warf mit leichtfertigem
Selbſtvertrauen ſich in die luxusbedürftigen Räume der
Welt.

Wir kennen dieſe hochaufgeſchürzte Geſtalt: wer iſt
ihr nicht begegnet? Ueberall wo plumpes modernes
Behagen zum Verlangen nach Unterhaltung ſich anläßt,
ſtellt ſie ſich mit höchſter Gefälligkeit ein und leiſtet für's
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[60/0076] det ſei, und forderte ihn als Bedingung ihres abgeſonder¬ ten Lebens, für ſich allein zurück. Gern entſagte ſie dem gefühlvollen Tone der Stimme ihrer Schweſter; durch dieſe Stimme, deren Mark das Wort der Dichtkunſt war, hätte ſie ſich ja unerlösbar an dieſe hochmüthige Leiterin gefeſſelt fühlen müſſen! Aber jenes Werkzeug aus Holz oder Metall, das muſikaliſche Inſtrument, das ihre Schweſter — im liebevollen Drange, auch den todten Stoffen der Natur ihren ſeelenvollen Athem einzuhauchen — zur Unterſtützung und Steigerung ihrer Stimme ſich gebildet hatte, — dieß Werkzeug, das ja genügend die Fähigkeit beſaß, ihr das nothwendige lei¬ tende Maß des Taktes und des Rhythmus' — ſogar mit Nachahmung des Stimmentonreizes der Schweſter — darzuſtellen — das muſikaliſche Inſtrument nahm ſie mit ſich, ließ unbekümmert die Schweſter Tonkunſt im Glau¬ ben an das Wort durch den uferloſen Strom chriſtlicher Harmonie dahin ſchwimmen, und warf mit leichtfertigem Selbſtvertrauen ſich in die luxusbedürftigen Räume der Welt. Wir kennen dieſe hochaufgeſchürzte Geſtalt: wer iſt ihr nicht begegnet? Ueberall wo plumpes modernes Behagen zum Verlangen nach Unterhaltung ſich anläßt, ſtellt ſie ſich mit höchſter Gefälligkeit ein und leiſtet für's Geld was man nur will. Ihre höchſte Fähigkeit, mit der

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/76>, abgerufen am 22.11.2024.