kennen; Erkenntniß durch die Liebe ist Freiheit, -- die Freiheit der menschlichen Fähigkeiten -- Allfähigkeit.
Nur die Kunst, die dieser Allfähigkeit des Menschen entspricht, ist somit frei, nicht die Kunstart, die nur von einer einzelnen menschlichen Fähigkeit herrührt. Tanzkunst, Tonkunst und Dichtkunst sind vereinzelt jede beschränkt; in der Berührung ihrer Schranken fühlt jede sich unfrei, sobald sie an ihrem Gränzpunkte nicht der anderen entsprechenden Kunstart in unbedingter anerkennender Liebe die Hand reicht. Schon das Erfassen dieser Hand hebt sie über die Schranke hinweg; die vollständige Umschlingung, das vollständige Aufgehen in der Schwester, d. h. das vollständige Aufgehen ihrer selbst jenseits der gestellten Schranke, läßt aber die Schranke ebenfalls vollständig fallen; und sind alle Schranken in dieser Weise gefallen, so sind weder die Kunstarten, noch aber auch eben diese Schranken mehr vorhanden, sondern nur die Kunst, die gemeinsame, unbeschrankte Kunst selbst.
Eine unselig falschverstandene Freiheit ist nun aber die, des in der Vereinzelung, in der Einsamkeit frei sein Wollenden. Der Trieb, sich aus der Gemeinsamkeit zu lösen, für sich, ganz im Besonderen frei, selbstständig sein zu wollen, kann nur zum geraden Gegensatze dieses willkürlich Erstrebten führen: zur vollkommensten Unselbstständigkeit. -- Selbstständig ist nichts in der Natur, als das, was die
kennen; Erkenntniß durch die Liebe iſt Freiheit, — die Freiheit der menſchlichen Fähigkeiten — Allfähigkeit.
Nur die Kunſt, die dieſer Allfähigkeit des Menſchen entſpricht, iſt ſomit frei, nicht die Kunſtart, die nur von einer einzelnen menſchlichen Fähigkeit herrührt. Tanzkunſt, Tonkunſt und Dichtkunſt ſind vereinzelt jede beſchränkt; in der Berührung ihrer Schranken fühlt jede ſich unfrei, ſobald ſie an ihrem Gränzpunkte nicht der anderen entſprechenden Kunſtart in unbedingter anerkennender Liebe die Hand reicht. Schon das Erfaſſen dieſer Hand hebt ſie über die Schranke hinweg; die vollſtändige Umſchlingung, das vollſtändige Aufgehen in der Schweſter, d. h. das vollſtändige Aufgehen ihrer ſelbſt jenſeits der geſtellten Schranke, läßt aber die Schranke ebenfalls vollſtändig fallen; und ſind alle Schranken in dieſer Weiſe gefallen, ſo ſind weder die Kunſtarten, noch aber auch eben dieſe Schranken mehr vorhanden, ſondern nur die Kunſt, die gemeinſame, unbeſchrankte Kunſt ſelbſt.
Eine unſelig falſchverſtandene Freiheit iſt nun aber die, des in der Vereinzelung, in der Einſamkeit frei ſein Wollenden. Der Trieb, ſich aus der Gemeinſamkeit zu löſen, für ſich, ganz im Beſonderen frei, ſelbſtſtändig ſein zu wollen, kann nur zum geraden Gegenſatze dieſes willkürlich Erſtrebten führen: zur vollkommenſten Unſelbſtſtändigkeit. — Selbſtſtändig iſt nichts in der Natur, als das, was die
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kennen; Erkenntniß durch die Liebe iſt Freiheit, — die
Freiheit der menſchlichen Fähigkeiten — Allfähigkeit.
Nur die Kunſt, die dieſer Allfähigkeit des Menſchen
entſpricht, iſt ſomit frei, nicht die Kunſtart, die nur
von einer einzelnen menſchlichen Fähigkeit herrührt.
Tanzkunſt, Tonkunſt und Dichtkunſt ſind vereinzelt jede
beſchränkt; in der Berührung ihrer Schranken fühlt jede ſich
unfrei, ſobald ſie an ihrem Gränzpunkte nicht der anderen
entſprechenden Kunſtart in unbedingter anerkennender Liebe
die Hand reicht. Schon das Erfaſſen dieſer Hand hebt ſie
über die Schranke hinweg; die vollſtändige Umſchlingung,
das vollſtändige Aufgehen in der Schweſter, d. h. das
vollſtändige Aufgehen ihrer ſelbſt jenſeits der geſtellten
Schranke, läßt aber die Schranke ebenfalls vollſtändig
fallen; und ſind alle Schranken in dieſer Weiſe gefallen, ſo
ſind weder die Kunſtarten, noch aber auch eben dieſe
Schranken mehr vorhanden, ſondern nur die Kunſt, die
gemeinſame, unbeſchrankte Kunſt ſelbſt.
Eine unſelig falſchverſtandene Freiheit iſt nun aber
die, des in der Vereinzelung, in der Einſamkeit frei ſein
Wollenden. Der Trieb, ſich aus der Gemeinſamkeit zu
löſen, für ſich, ganz im Beſonderen frei, ſelbſtſtändig ſein zu
wollen, kann nur zum geraden Gegenſatze dieſes willkürlich
Erſtrebten führen: zur vollkommenſten Unſelbſtſtändigkeit.
— Selbſtſtändig iſt nichts in der Natur, als das, was die
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/64>, abgerufen am 16.02.2025.
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