Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Liebe. Freiheit ist befriedigtes nothwendiges Bedürfniß, Nichts Lebendiges kann aus der wahren unentstellten Jede einzelne Fähigkeit des Menschen ist eine be¬ Liebe. Freiheit iſt befriedigtes nothwendiges Bedürfniß, Nichts Lebendiges kann aus der wahren unentſtellten Jede einzelne Fähigkeit des Menſchen iſt eine be¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0063" n="47"/> Liebe. Freiheit iſt befriedigtes nothwendiges Bedürfniß,<lb/> höchſte Freiheit befriedigtes höchſtes Bedürfniß: das<lb/><hi rendition="#g">höchſte</hi> menſchliche Bedürfniß aber iſt <hi rendition="#g">die Liebe</hi>.</p><lb/> <p>Nichts Lebendiges kann aus der wahren unentſtellten<lb/> Natur des Menſchen hervorgehen oder von ihr ſich ab¬<lb/> leiten, was nicht auch der charakteriſtiſchen Weſenheit dieſer<lb/> Natur vollkommen entſpräche: das charakteriſtiſcheſte Merk¬<lb/> mal dieſer Weſenheit iſt aber das Liebesbedürfniß.</p><lb/> <p>Jede einzelne Fähigkeit des Menſchen iſt eine be¬<lb/> ſchränkte; ſeine vereinigten, unter ſich verſtändigten, gegen¬<lb/> ſeitig ſich helfenden, — alſo ſeine <hi rendition="#g">ſich liebenden</hi> Fähig¬<lb/> keiten ſind aber die ſich genügende, unbeſchränkte, allgemein<lb/> menſchliche Fähigkeit. So hat denn auch jede <hi rendition="#g">künſt¬<lb/> leriſche</hi> Fähigkeit des Menſchen ihre natürlichen Schran¬<lb/> ken, weil der Menſch nicht <hi rendition="#g">einen Sinn</hi>, ſondern <hi rendition="#g">Sinne</hi><lb/> überhaupt hat; jede Fähigkeit leitet ſich aber nur von<lb/> einem gewiſſen Sinne her; an den Schranken dieſes<lb/> Sinnes hat daher auch dieſe Fähigkeit ihre Schranken.<lb/> Die Gränzen der einzelnen Sinne ſind aber auch ihre<lb/> gegenſeitigen Berührungspunkte, die Punkte, wo ſie in<lb/> einander fließen, ſich verſtändigen: gerade ſo berühren, ver¬<lb/> ſtändigen ſich die von ihnen hergeleiteten Fähigkeiten.<lb/> Ihre Schranken heben ſich daher in der Verſtändigung auf;<lb/> nur was ſich liebt, kann ſich aber verſtändigen und lieben<lb/> heißt: den andern anerkennen, zugleich alſo ſich ſelbſt er¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0063]
Liebe. Freiheit iſt befriedigtes nothwendiges Bedürfniß,
höchſte Freiheit befriedigtes höchſtes Bedürfniß: das
höchſte menſchliche Bedürfniß aber iſt die Liebe.
Nichts Lebendiges kann aus der wahren unentſtellten
Natur des Menſchen hervorgehen oder von ihr ſich ab¬
leiten, was nicht auch der charakteriſtiſchen Weſenheit dieſer
Natur vollkommen entſpräche: das charakteriſtiſcheſte Merk¬
mal dieſer Weſenheit iſt aber das Liebesbedürfniß.
Jede einzelne Fähigkeit des Menſchen iſt eine be¬
ſchränkte; ſeine vereinigten, unter ſich verſtändigten, gegen¬
ſeitig ſich helfenden, — alſo ſeine ſich liebenden Fähig¬
keiten ſind aber die ſich genügende, unbeſchränkte, allgemein
menſchliche Fähigkeit. So hat denn auch jede künſt¬
leriſche Fähigkeit des Menſchen ihre natürlichen Schran¬
ken, weil der Menſch nicht einen Sinn, ſondern Sinne
überhaupt hat; jede Fähigkeit leitet ſich aber nur von
einem gewiſſen Sinne her; an den Schranken dieſes
Sinnes hat daher auch dieſe Fähigkeit ihre Schranken.
Die Gränzen der einzelnen Sinne ſind aber auch ihre
gegenſeitigen Berührungspunkte, die Punkte, wo ſie in
einander fließen, ſich verſtändigen: gerade ſo berühren, ver¬
ſtändigen ſich die von ihnen hergeleiteten Fähigkeiten.
Ihre Schranken heben ſich daher in der Verſtändigung auf;
nur was ſich liebt, kann ſich aber verſtändigen und lieben
heißt: den andern anerkennen, zugleich alſo ſich ſelbſt er¬
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