Dieß ist die freie Kunst. Der süß und stark bewe¬ gende Drang in jenem Reigen der Schwestern, ist der Drang nach Freiheit; der Liebeskuß der Umschlungenen die Wonne der gewonnenen Freiheit.
Der Einsame ist unfrei, weil beschränkt und ab¬ hängig in der Unliebe; der Gemeinsame frei, weil unbeschränkt und unabhängig durch die Liebe. --
In Allem, was da ist, ist das Mächtigste der Lebens¬ trieb; er ist die unwiderstehliche Kraft des Zusammen¬ hanges der Bedingungen, die das, was da ist, erst hervor¬ gerufen haben, -- der Dinge oder Lebenskräfte also, die in dem, was durch sie ist, das sind, was sie in diesem Ver¬ einigungspunkte sein können und sein wollen. Der Mensch befriedigt sein Lebensbedürfniß durch Nehmen von der Natur: dies ist kein Raub sondern ein Empfangen, in sich Aufnehmen, Verzehren dessen, was, als Lebensbedingung des Menschen in ihn aufgenommen, verzehrt sein will; denn diese Lebensbedingungen, selbst Lebensbedürfnisse, heben sich ja nicht durch seine Geburt auf, -- sie währen und nähren sich in ihm und durch ihn vielmehr so lange als er lebt, und die Auflösung ihres Bundes ist eben erst -- der Tod. Das Lebensbedürfniß des Lebensbedürfnisses des Menschen ist aber das Liebesbedürfniß. Wie die Bedingungen des natürlichen Menschenlebens in dem Lie¬ besbunde untergeordneter Naturkräfte gegeben sind, die
Dieß iſt die freie Kunſt. Der ſüß und ſtark bewe¬ gende Drang in jenem Reigen der Schweſtern, iſt der Drang nach Freiheit; der Liebeskuß der Umſchlungenen die Wonne der gewonnenen Freiheit.
Der Einſame iſt unfrei, weil beſchränkt und ab¬ hängig in der Unliebe; der Gemeinſame frei, weil unbeſchränkt und unabhängig durch die Liebe. —
In Allem, was da iſt, iſt das Mächtigſte der Lebens¬ trieb; er iſt die unwiderſtehliche Kraft des Zuſammen¬ hanges der Bedingungen, die das, was da iſt, erſt hervor¬ gerufen haben, — der Dinge oder Lebenskräfte alſo, die in dem, was durch ſie iſt, das ſind, was ſie in dieſem Ver¬ einigungspunkte ſein können und ſein wollen. Der Menſch befriedigt ſein Lebensbedürfniß durch Nehmen von der Natur: dies iſt kein Raub ſondern ein Empfangen, in ſich Aufnehmen, Verzehren deſſen, was, als Lebensbedingung des Menſchen in ihn aufgenommen, verzehrt ſein will; denn dieſe Lebensbedingungen, ſelbſt Lebensbedürfniſſe, heben ſich ja nicht durch ſeine Geburt auf, — ſie währen und nähren ſich in ihm und durch ihn vielmehr ſo lange als er lebt, und die Auflöſung ihres Bundes iſt eben erſt — der Tod. Das Lebensbedürfniß des Lebensbedürfniſſes des Menſchen iſt aber das Liebesbedürfniß. Wie die Bedingungen des natürlichen Menſchenlebens in dem Lie¬ besbunde untergeordneter Naturkräfte gegeben ſind, die
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Dieß iſt die freie Kunſt. Der ſüß und ſtark bewe¬
gende Drang in jenem Reigen der Schweſtern, iſt der
Drang nach Freiheit; der Liebeskuß der Umſchlungenen
die Wonne der gewonnenen Freiheit.
Der Einſame iſt unfrei, weil beſchränkt und ab¬
hängig in der Unliebe; der Gemeinſame frei, weil
unbeſchränkt und unabhängig durch die Liebe. —
In Allem, was da iſt, iſt das Mächtigſte der Lebens¬
trieb; er iſt die unwiderſtehliche Kraft des Zuſammen¬
hanges der Bedingungen, die das, was da iſt, erſt hervor¬
gerufen haben, — der Dinge oder Lebenskräfte alſo, die
in dem, was durch ſie iſt, das ſind, was ſie in dieſem Ver¬
einigungspunkte ſein können und ſein wollen. Der Menſch
befriedigt ſein Lebensbedürfniß durch Nehmen von der
Natur: dies iſt kein Raub ſondern ein Empfangen, in ſich
Aufnehmen, Verzehren deſſen, was, als Lebensbedingung
des Menſchen in ihn aufgenommen, verzehrt ſein will; denn
dieſe Lebensbedingungen, ſelbſt Lebensbedürfniſſe, heben
ſich ja nicht durch ſeine Geburt auf, — ſie währen und
nähren ſich in ihm und durch ihn vielmehr ſo lange als er
lebt, und die Auflöſung ihres Bundes iſt eben erſt —
der Tod. Das Lebensbedürfniß des Lebensbedürfniſſes des
Menſchen iſt aber das Liebesbedürfniß. Wie die
Bedingungen des natürlichen Menſchenlebens in dem Lie¬
besbunde untergeordneter Naturkräfte gegeben ſind, die
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/61>, abgerufen am 16.02.2025.
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