genährt, durch ihre Mutterweisheit ihn gebildet: sie stellt ihn uns hin mit Mutterstolz, und ruft uns Menschen allen aus Mutterliebe nun zu: "Das that ich für Euch, nun thut Ihr aus Liebe zu Euch, was Ihr könnt!"
So haben wir denn die hellenische Kunst zur menschlichen Kunst überhaupt zu machen; die Bedingun¬ gen, unter denen sie eben nur hellenische, nicht all¬ menschliche Kunst war, von ihr zu lösen; das Gewand der Religion, in welchem sie einzig eine gemeinsam hellenische Kunst war, und nach dessen Abnahme sie als egoistische, einzelne Kunstgattung, nicht mehr dem Bedürf¬ nisse der Allgemeinheit, sondern nur dem des Luxus -- wenn auch eines schönen! -- entsprechen konnte, -- dieß Gewand der speciell hellenischen Religion haben wir zu dem Bande der Religion der Zukunft, der der Allge¬ meinsamkeit, zu erweitern, um eine gerechte Vorstellung vom Kunstwerke der Zukunft schon jetzt uns machen zu können. Aber eben dieses Band, diese Religion der Zukunft, vermögen wir Unseligen nicht zu knüpfen, weil wir, so viele wir derer auch sein mögen, die den Drang nach dem Kunstwerke der Zukunft in sich fühlen, doch nur Einzelne, Einsame sind. Das Kunstwerk ist die lebendig dargestellte Religion; -- Religionen aber er¬ findet nicht der Künstler, die entstehen nur aus dem Volke.--
genährt, durch ihre Mutterweisheit ihn gebildet: ſie ſtellt ihn uns hin mit Mutterſtolz, und ruft uns Menſchen allen aus Mutterliebe nun zu: „Das that ich für Euch, nun thut Ihr aus Liebe zu Euch, was Ihr könnt!“
So haben wir denn die helleniſche Kunſt zur menſchlichen Kunſt überhaupt zu machen; die Bedingun¬ gen, unter denen ſie eben nur helleniſche, nicht all¬ menſchliche Kunſt war, von ihr zu löſen; das Gewand der Religion, in welchem ſie einzig eine gemeinſam helleniſche Kunſt war, und nach deſſen Abnahme ſie als egoiſtiſche, einzelne Kunſtgattung, nicht mehr dem Bedürf¬ niſſe der Allgemeinheit, ſondern nur dem des Luxus — wenn auch eines ſchönen! — entſprechen konnte, — dieß Gewand der ſpeciell helleniſchen Religion haben wir zu dem Bande der Religion der Zukunft, der der Allge¬ meinſamkeit, zu erweitern, um eine gerechte Vorſtellung vom Kunſtwerke der Zukunft ſchon jetzt uns machen zu können. Aber eben dieſes Band, dieſe Religion der Zukunft, vermögen wir Unſeligen nicht zu knüpfen, weil wir, ſo viele wir derer auch ſein mögen, die den Drang nach dem Kunſtwerke der Zukunft in ſich fühlen, doch nur Einzelne, Einſame ſind. Das Kunſtwerk iſt die lebendig dargeſtellte Religion; — Religionen aber er¬ findet nicht der Künſtler, die entſtehen nur aus dem Volke.—
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genährt, durch ihre Mutterweisheit ihn gebildet: ſie ſtellt
ihn uns hin mit Mutterſtolz, und ruft uns Menſchen allen
aus Mutterliebe nun zu: „Das that ich für Euch, nun
thut Ihr aus Liebe zu Euch, was Ihr könnt!“
So haben wir denn die helleniſche Kunſt zur
menſchlichen Kunſt überhaupt zu machen; die Bedingun¬
gen, unter denen ſie eben nur helleniſche, nicht all¬
menſchliche Kunſt war, von ihr zu löſen; das Gewand
der Religion, in welchem ſie einzig eine gemeinſam
helleniſche Kunſt war, und nach deſſen Abnahme ſie als
egoiſtiſche, einzelne Kunſtgattung, nicht mehr dem Bedürf¬
niſſe der Allgemeinheit, ſondern nur dem des Luxus —
wenn auch eines ſchönen! — entſprechen konnte, — dieß
Gewand der ſpeciell helleniſchen Religion haben wir
zu dem Bande der Religion der Zukunft, der der Allge¬
meinſamkeit, zu erweitern, um eine gerechte Vorſtellung
vom Kunſtwerke der Zukunft ſchon jetzt uns machen zu
können. Aber eben dieſes Band, dieſe Religion der
Zukunft, vermögen wir Unſeligen nicht zu knüpfen,
weil wir, ſo viele wir derer auch ſein mögen, die den Drang
nach dem Kunſtwerke der Zukunft in ſich fühlen, doch nur
Einzelne, Einſame ſind. Das Kunſtwerk iſt die
lebendig dargeſtellte Religion; — Religionen aber er¬
findet nicht der Künſtler, die entſtehen nur aus dem
Volke.—
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/52>, abgerufen am 22.07.2024.
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