Zwei Hauptmomente der Entwickelung der Menschheit liegen in der Geschichte deutlich vor: der geschlechtlich nationale und der unnationale universelle. Sehen wir jetzt in der Zukunft der Vol¬ lendung dieses zweiten Entwickelungsganges entgegen, so haben wir in der Vergangenheit den vollendeten Abschluß jenes ersteren deutlich erkennbar vor Augen. Bis zu wel¬ cher Höhe der Mensch, -- soweit er sich nach geschlechtlicher Abkunft, nach Sprachgemeinschaft, nach Gleichartigkeit des Klimas und der natürlichen Beschaffenheit einer gemein¬ schaftlichen Heimat, dem Einflusse der Natur unbewußt überließ, -- unter diesem fast unmittelbar bildenden Ein¬ flusse sich zu entwickeln vermochte, haben wir wahrlich nur mit freudigstem Entzücken anzuerkennen vollen Grund. In der natürlichen Sitte aller Völker, soweit sie den normalen Menschen in sich begreifen, selbst der als rohest ver¬ schrieenen, lernen wir die Wahrheit der menschlichen Na¬ tur erst nach ihrem vollen Adel, ihrer wirklichen Schön¬ heit, erkennen. Nicht eine wahre Tugend hat irgend welche Religion als göttliches Gebot in sich aufgenommen, die nicht in dieser natürlichen Sitte von selbst inbegriffen gewesen wäre; nicht einen wirklich menschlichen Rechts¬ begriff hat der spätere civilisirte Staat -- nur leider bis zur vollkommenen Entstellung! -- entwickelt, der in ihr nicht bereits seinen sichern Ausdruck erhalten; nicht eine
Zwei Hauptmomente der Entwickelung der Menſchheit liegen in der Geſchichte deutlich vor: der geſchlechtlich nationale und der unnationale univerſelle. Sehen wir jetzt in der Zukunft der Vol¬ lendung dieſes zweiten Entwickelungsganges entgegen, ſo haben wir in der Vergangenheit den vollendeten Abſchluß jenes erſteren deutlich erkennbar vor Augen. Bis zu wel¬ cher Höhe der Menſch, — ſoweit er ſich nach geſchlechtlicher Abkunft, nach Sprachgemeinſchaft, nach Gleichartigkeit des Klimas und der natürlichen Beſchaffenheit einer gemein¬ ſchaftlichen Heimat, dem Einfluſſe der Natur unbewußt überließ, — unter dieſem faſt unmittelbar bildenden Ein¬ fluſſe ſich zu entwickeln vermochte, haben wir wahrlich nur mit freudigſtem Entzücken anzuerkennen vollen Grund. In der natürlichen Sitte aller Völker, ſoweit ſie den normalen Menſchen in ſich begreifen, ſelbſt der als roheſt ver¬ ſchrieenen, lernen wir die Wahrheit der menſchlichen Na¬ tur erſt nach ihrem vollen Adel, ihrer wirklichen Schön¬ heit, erkennen. Nicht eine wahre Tugend hat irgend welche Religion als göttliches Gebot in ſich aufgenommen, die nicht in dieſer natürlichen Sitte von ſelbſt inbegriffen geweſen wäre; nicht einen wirklich menſchlichen Rechts¬ begriff hat der ſpätere civiliſirte Staat — nur leider bis zur vollkommenen Entſtellung! — entwickelt, der in ihr nicht bereits ſeinen ſichern Ausdruck erhalten; nicht eine
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Zwei Hauptmomente der Entwickelung der
Menſchheit liegen in der Geſchichte deutlich vor: der
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univerſelle. Sehen wir jetzt in der Zukunft der Vol¬
lendung dieſes zweiten Entwickelungsganges entgegen, ſo
haben wir in der Vergangenheit den vollendeten Abſchluß
jenes erſteren deutlich erkennbar vor Augen. Bis zu wel¬
cher Höhe der Menſch, — ſoweit er ſich nach geſchlechtlicher
Abkunft, nach Sprachgemeinſchaft, nach Gleichartigkeit des
Klimas und der natürlichen Beſchaffenheit einer gemein¬
ſchaftlichen Heimat, dem Einfluſſe der Natur unbewußt
überließ, — unter dieſem faſt unmittelbar bildenden Ein¬
fluſſe ſich zu entwickeln vermochte, haben wir wahrlich nur
mit freudigſtem Entzücken anzuerkennen vollen Grund. In
der natürlichen Sitte aller Völker, ſoweit ſie den normalen
Menſchen in ſich begreifen, ſelbſt der als roheſt ver¬
ſchrieenen, lernen wir die Wahrheit der menſchlichen Na¬
tur erſt nach ihrem vollen Adel, ihrer wirklichen Schön¬
heit, erkennen. Nicht eine wahre Tugend hat irgend
welche Religion als göttliches Gebot in ſich aufgenommen,
die nicht in dieſer natürlichen Sitte von ſelbſt inbegriffen
geweſen wäre; nicht einen wirklich menſchlichen Rechts¬
begriff hat der ſpätere civiliſirte Staat — nur leider bis
zur vollkommenen Entſtellung! — entwickelt, der in ihr
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/50>, abgerufen am 17.02.2025.
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