Despot aller Schwachen, Feigen, in Wahrheit Bedürfni߬ losen. Die Gewohnheit ist der Kommunismus des Egois¬ mus, das erhaltungszähe Band gemeinschaftlichen, noth¬ losen Eigennutzes; ihre künstliche Lebensregung ist eben die der Mode.
Die Mode ist daher nicht künstlerische Erzeugung aus sich, sondern nur künstliche Ableitung aus ihrem Gegensatze, der Natur, von der sie sich im Grunde doch einzig ernäh¬ ren muß, wie der Luxus der vornehmen Klassen sich wie¬ derum nur aus dem Drange nach Befriedigung natürlicher Lebensbedürfnisse der niederen, arbeitenden Klassen ernährt. Auch die Willkür der Mode kann daher nur aus der wirk¬ lichen Natur schaffen: alle ihre Gestaltungen, Schnörkel und Zierrathen haben endlich doch nur in der Natur ihr Urbild; sie kann, wie all unser abstraktes Denken in seinen weitesten Abirrungen, schließlich doch nichts Anderes er¬ denken und erfinden, als was seinem ursprünglichen Wesen nach in der Natur und im Menschen sinnlich und förmlich vorhanden ist. Aber ihr Verfahren ist ein hochmüthiges, von der Natur willkürlich sich lostrennendes: sie ordnet und befiehlt da, wo Alles in Wahrheit sich nur unterzuordnen und zu gehorchen hat. Somit kann sie in ihren Bildungen nur die Natur entstellen, nicht aber darstellen; sie kann nur ableiten, nicht aber erfinden, denn Erfinden ist in
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Deſpot aller Schwachen, Feigen, in Wahrheit Bedürfni߬ loſen. Die Gewohnheit iſt der Kommunismus des Egois¬ mus, das erhaltungszähe Band gemeinſchaftlichen, noth¬ loſen Eigennutzes; ihre künſtliche Lebensregung iſt eben die der Mode.
Die Mode iſt daher nicht künſtleriſche Erzeugung aus ſich, ſondern nur künſtliche Ableitung aus ihrem Gegenſatze, der Natur, von der ſie ſich im Grunde doch einzig ernäh¬ ren muß, wie der Luxus der vornehmen Klaſſen ſich wie¬ derum nur aus dem Drange nach Befriedigung natürlicher Lebensbedürfniſſe der niederen, arbeitenden Klaſſen ernährt. Auch die Willkür der Mode kann daher nur aus der wirk¬ lichen Natur ſchaffen: alle ihre Geſtaltungen, Schnörkel und Zierrathen haben endlich doch nur in der Natur ihr Urbild; ſie kann, wie all unſer abſtraktes Denken in ſeinen weiteſten Abirrungen, ſchließlich doch nichts Anderes er¬ denken und erfinden, als was ſeinem urſprünglichen Weſen nach in der Natur und im Menſchen ſinnlich und förmlich vorhanden iſt. Aber ihr Verfahren iſt ein hochmüthiges, von der Natur willkürlich ſich lostrennendes: ſie ordnet und befiehlt da, wo Alles in Wahrheit ſich nur unterzuordnen und zu gehorchen hat. Somit kann ſie in ihren Bildungen nur die Natur entſtellen, nicht aber darſtellen; ſie kann nur ableiten, nicht aber erfinden, denn Erfinden iſt in
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Deſpot aller Schwachen, Feigen, in Wahrheit Bedürfni߬
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mus, das erhaltungszähe Band gemeinſchaftlichen, noth¬
loſen Eigennutzes; ihre künſtliche Lebensregung iſt eben die
der Mode.
Die Mode iſt daher nicht künſtleriſche Erzeugung aus
ſich, ſondern nur künſtliche Ableitung aus ihrem Gegenſatze,
der Natur, von der ſie ſich im Grunde doch einzig ernäh¬
ren muß, wie der Luxus der vornehmen Klaſſen ſich wie¬
derum nur aus dem Drange nach Befriedigung natürlicher
Lebensbedürfniſſe der niederen, arbeitenden Klaſſen ernährt.
Auch die Willkür der Mode kann daher nur aus der wirk¬
lichen Natur ſchaffen: alle ihre Geſtaltungen, Schnörkel
und Zierrathen haben endlich doch nur in der Natur ihr
Urbild; ſie kann, wie all unſer abſtraktes Denken in ſeinen
weiteſten Abirrungen, ſchließlich doch nichts Anderes er¬
denken und erfinden, als was ſeinem urſprünglichen Weſen
nach in der Natur und im Menſchen ſinnlich und förmlich
vorhanden iſt. Aber ihr Verfahren iſt ein hochmüthiges,
von der Natur willkürlich ſich lostrennendes: ſie ordnet und
befiehlt da, wo Alles in Wahrheit ſich nur unterzuordnen
und zu gehorchen hat. Somit kann ſie in ihren Bildungen
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/43>, abgerufen am 22.07.2024.
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