dürfniß sympathetisch und rückhaltslos zu versenken vermag, kann es an der Thätigkeit des Unbewußtseins Theil nehmen, und erst das, durch das unwillkürliche, nothwendige Be¬ dürfniß zu Tage geförderte, die wirkliche sinnliche That, kann wieder befriedigender Gegenstand des Denkens und Wissens werden; denn der Gang der menschlichen Ent¬ wickelung ist der vernunftgemäße, natürliche, vom Unbe¬ wußtsein zum Bewußtsein, vom Unwissen zum Wissen, vom Bedürfniß zur Befriedigung, nicht von der Befriedigung zum Bedürfnisse -- wenigstens nicht zu dem Bedürfnisse, dessen Ende jene Befriedigung war.
Nicht Ihr Intelligenten seid daher erfinderisch, son¬ dern das Volk, weil es die Noth zur Erfindung treibt: alle großen Erfindungen sind die Thaten des Volkes, wo¬ gegen die Erfindungen der Intelligenz nur die Ausbeu¬ tungen, Ableitungen, ja Zersplitterungen, Verstümme¬ lungen der großen Volkserfindungen sind. Nicht Ihr habt die Sprache erfunden, sondern das Volk; Ihr habt ihre sinnliche Schönheit nur verderben, ihre Kraft nur brechen, ihr inniges Verständniß nur verlieren, das Verlorene müh¬ selig nur wieder erforschen können. Nicht Ihr seid die Erfinder der Religion, sondern das Volk; Ihr habt nur ihren innigen Ausdruck entstellen, den in ihr liegenden Himmel zur Hölle, die in ihr sich kundgebende Wahrheit zur Lüge machen können. Nicht Ihr seid die Erfinder des
dürfniß ſympathetiſch und rückhaltslos zu verſenken vermag, kann es an der Thätigkeit des Unbewußtſeins Theil nehmen, und erſt das, durch das unwillkürliche, nothwendige Be¬ dürfniß zu Tage geförderte, die wirkliche ſinnliche That, kann wieder befriedigender Gegenſtand des Denkens und Wiſſens werden; denn der Gang der menſchlichen Ent¬ wickelung iſt der vernunftgemäße, natürliche, vom Unbe¬ wußtſein zum Bewußtſein, vom Unwiſſen zum Wiſſen, vom Bedürfniß zur Befriedigung, nicht von der Befriedigung zum Bedürfniſſe — wenigſtens nicht zu dem Bedürfniſſe, deſſen Ende jene Befriedigung war.
Nicht Ihr Intelligenten ſeid daher erfinderiſch, ſon¬ dern das Volk, weil es die Noth zur Erfindung treibt: alle großen Erfindungen ſind die Thaten des Volkes, wo¬ gegen die Erfindungen der Intelligenz nur die Ausbeu¬ tungen, Ableitungen, ja Zerſplitterungen, Verſtümme¬ lungen der großen Volkserfindungen ſind. Nicht Ihr habt die Sprache erfunden, ſondern das Volk; Ihr habt ihre ſinnliche Schönheit nur verderben, ihre Kraft nur brechen, ihr inniges Verſtändniß nur verlieren, das Verlorene müh¬ ſelig nur wieder erforſchen können. Nicht Ihr ſeid die Erfinder der Religion, ſondern das Volk; Ihr habt nur ihren innigen Ausdruck entſtellen, den in ihr liegenden Himmel zur Hölle, die in ihr ſich kundgebende Wahrheit zur Lüge machen können. Nicht Ihr ſeid die Erfinder des
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dürfniß ſympathetiſch und rückhaltslos zu verſenken vermag,
kann es an der Thätigkeit des Unbewußtſeins Theil nehmen,
und erſt das, durch das unwillkürliche, nothwendige Be¬
dürfniß zu Tage geförderte, die wirkliche ſinnliche That,
kann wieder befriedigender Gegenſtand des Denkens und
Wiſſens werden; denn der Gang der menſchlichen Ent¬
wickelung iſt der vernunftgemäße, natürliche, vom Unbe¬
wußtſein zum Bewußtſein, vom Unwiſſen zum Wiſſen, vom
Bedürfniß zur Befriedigung, nicht von der Befriedigung
zum Bedürfniſſe — wenigſtens nicht zu dem Bedürfniſſe,
deſſen Ende jene Befriedigung war.
Nicht Ihr Intelligenten ſeid daher erfinderiſch, ſon¬
dern das Volk, weil es die Noth zur Erfindung treibt:
alle großen Erfindungen ſind die Thaten des Volkes, wo¬
gegen die Erfindungen der Intelligenz nur die Ausbeu¬
tungen, Ableitungen, ja Zerſplitterungen, Verſtümme¬
lungen der großen Volkserfindungen ſind. Nicht Ihr habt
die Sprache erfunden, ſondern das Volk; Ihr habt ihre
ſinnliche Schönheit nur verderben, ihre Kraft nur brechen,
ihr inniges Verſtändniß nur verlieren, das Verlorene müh¬
ſelig nur wieder erforſchen können. Nicht Ihr ſeid die
Erfinder der Religion, ſondern das Volk; Ihr habt nur
ihren innigen Ausdruck entſtellen, den in ihr liegenden
Himmel zur Hölle, die in ihr ſich kundgebende Wahrheit
zur Lüge machen können. Nicht Ihr ſeid die Erfinder des
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/35>, abgerufen am 22.07.2024.
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