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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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dem es aufgehen, sich also vernichten, befriedigen könnte.
Der wirkliche, sinnliche Hunger hat seinen natürlichen
Gegensatz, die Sättigung, in welchem er -- durch die
Speisung -- aufgeht: das unnöthige Bedürfniß, das Be¬
dürfniß nach Luxus, ist aber schon bereits Luxus, Ueber¬
fluß selbst; der Irrthum in ihm kann daher nie in die
Wahrheit aufgehen: es martert, verzehrt, brennt und pei¬
nigt stets ungestillt, läßt Geist, Herz und Sinne vergebens
schmachten, verschlingt alle Lust, Heiterkeit und Freude des
Lebens; verpraßt um eines einzigen, und dennoch unerreich¬
baren Augenblickes der Erlabung willen, die Thätigkeit
und Lebenskraft Tausender von Nothleidenden; lebt vom
ungestillten Hunger abermals Tausender von Armen, ohne
seinen eigenen Hunger nur einen Augenblick sättigen zu
können; er hält eine ganze Welt in eisernen Ketten des
Despotismus, ohne nur einen Augenblick die goldenen
Ketten jenes Tyrannen brechen zu können, der es sich eben
selbst ist.

Und dieser Teufel, dieß wahnsinnige Bedürfniß ohne
Bedürfniß, dieß Bedürfniß des Bedürfnisses, -- dieß Be¬
dürfniß des Luxus
, welches der Luxus selbst ist,
-- regiert die Welt; er ist die Seele dieser Industrie, die
den Menschen tödtet, um ihn als Maschine zu verwenden;
die Seele unsres Staates, der den Menschen ehrlos erklärt,
um ihn als Unterthan wieder zu Gnaden anzunehmen; die

dem es aufgehen, ſich alſo vernichten, befriedigen könnte.
Der wirkliche, ſinnliche Hunger hat ſeinen natürlichen
Gegenſatz, die Sättigung, in welchem er — durch die
Speiſung — aufgeht: das unnöthige Bedürfniß, das Be¬
dürfniß nach Luxus, iſt aber ſchon bereits Luxus, Ueber¬
fluß ſelbſt; der Irrthum in ihm kann daher nie in die
Wahrheit aufgehen: es martert, verzehrt, brennt und pei¬
nigt ſtets ungeſtillt, läßt Geiſt, Herz und Sinne vergebens
ſchmachten, verſchlingt alle Luſt, Heiterkeit und Freude des
Lebens; verpraßt um eines einzigen, und dennoch unerreich¬
baren Augenblickes der Erlabung willen, die Thätigkeit
und Lebenskraft Tauſender von Nothleidenden; lebt vom
ungeſtillten Hunger abermals Tauſender von Armen, ohne
ſeinen eigenen Hunger nur einen Augenblick ſättigen zu
können; er hält eine ganze Welt in eiſernen Ketten des
Despotismus, ohne nur einen Augenblick die goldenen
Ketten jenes Tyrannen brechen zu können, der es ſich eben
ſelbſt iſt.

Und dieſer Teufel, dieß wahnſinnige Bedürfniß ohne
Bedürfniß, dieß Bedürfniß des Bedürfniſſes, — dieß Be¬
dürfniß des Luxus
, welches der Luxus ſelbſt iſt,
— regiert die Welt; er iſt die Seele dieſer Induſtrie, die
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die Seele unſres Staates, der den Menſchen ehrlos erklärt,
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[13/0029] dem es aufgehen, ſich alſo vernichten, befriedigen könnte. Der wirkliche, ſinnliche Hunger hat ſeinen natürlichen Gegenſatz, die Sättigung, in welchem er — durch die Speiſung — aufgeht: das unnöthige Bedürfniß, das Be¬ dürfniß nach Luxus, iſt aber ſchon bereits Luxus, Ueber¬ fluß ſelbſt; der Irrthum in ihm kann daher nie in die Wahrheit aufgehen: es martert, verzehrt, brennt und pei¬ nigt ſtets ungeſtillt, läßt Geiſt, Herz und Sinne vergebens ſchmachten, verſchlingt alle Luſt, Heiterkeit und Freude des Lebens; verpraßt um eines einzigen, und dennoch unerreich¬ baren Augenblickes der Erlabung willen, die Thätigkeit und Lebenskraft Tauſender von Nothleidenden; lebt vom ungeſtillten Hunger abermals Tauſender von Armen, ohne ſeinen eigenen Hunger nur einen Augenblick ſättigen zu können; er hält eine ganze Welt in eiſernen Ketten des Despotismus, ohne nur einen Augenblick die goldenen Ketten jenes Tyrannen brechen zu können, der es ſich eben ſelbſt iſt. Und dieſer Teufel, dieß wahnſinnige Bedürfniß ohne Bedürfniß, dieß Bedürfniß des Bedürfniſſes, — dieß Be¬ dürfniß des Luxus, welches der Luxus ſelbſt iſt, — regiert die Welt; er iſt die Seele dieſer Induſtrie, die den Menſchen tödtet, um ihn als Maſchine zu verwenden; die Seele unſres Staates, der den Menſchen ehrlos erklärt, um ihn als Unterthan wieder zu Gnaden anzunehmen; die

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/29>, abgerufen am 21.11.2024.