Vorstellung hinwegbleiben, weil sie nur nach willkürlichen Annahmen als Bilder unserer Phantasie sich darstellen könnten und ihrem Wesen nach doch nur gerade dem heuti¬ gen Zustande entnommen sein, immer nur wie sie den Ge¬ gebenheiten der Gegenwart entsprungen, sich uns darbieten dürften. Nur das Vollbrachte und Fertige können wir wissen; die lebenvolle Gestaltung der Zukunft kann un¬ bestritten eben nur das Werk des Lebens selbst sein! Ist sie vollbracht, so werden wir mit einem Blicke klar be¬ begreifen, was heute wir nur nach Laune und Willkür un¬ ter dem unüberwindlichen Eindrucke der gegenwärtigen Ver¬ hältnisse uns vorgaukeln könnten.
Nichts ist verderblicher für das Glück der Menschen gewesen, als dieser wahnsinnige Eifer, das Leben der Zu¬ kunft durch gegenwärtig gegebene Gesetze zu ordnen: Diese widerliche Sorge für die Zukunft, die in Wahrheit nur dem trübsinnigen absoluten Egoismus zu eigen ist, sucht im Grunde immer nur zu erhalten, das, was wir heute gerade haben, für alle Lebenszeit uns zu versichern: sie hält das Eigenthum, das für alle Ewigkeit niet- und na¬ gelfest zu bannende Eigenthum, als den einzig würdigen Gegenstand menschlich thätiger Voraussicht fest, und sucht daher nach Möglichkeit das selbstständige Lebensgebahren der Zukunft zu beschränken, den selbstgestaltenden Lebenstrieb ihr, als bösen, aufregenden Stachel, thunlichst ganz aus¬
Vorſtellung hinwegbleiben, weil ſie nur nach willkürlichen Annahmen als Bilder unſerer Phantaſie ſich darſtellen könnten und ihrem Weſen nach doch nur gerade dem heuti¬ gen Zuſtande entnommen ſein, immer nur wie ſie den Ge¬ gebenheiten der Gegenwart entſprungen, ſich uns darbieten dürften. Nur das Vollbrachte und Fertige können wir wiſſen; die lebenvolle Geſtaltung der Zukunft kann un¬ beſtritten eben nur das Werk des Lebens ſelbſt ſein! Iſt ſie vollbracht, ſo werden wir mit einem Blicke klar be¬ begreifen, was heute wir nur nach Laune und Willkür un¬ ter dem unüberwindlichen Eindrucke der gegenwärtigen Ver¬ hältniſſe uns vorgaukeln könnten.
Nichts iſt verderblicher für das Glück der Menſchen geweſen, als dieſer wahnſinnige Eifer, das Leben der Zu¬ kunft durch gegenwärtig gegebene Geſetze zu ordnen: Dieſe widerliche Sorge für die Zukunft, die in Wahrheit nur dem trübſinnigen abſoluten Egoismus zu eigen iſt, ſucht im Grunde immer nur zu erhalten, das, was wir heute gerade haben, für alle Lebenszeit uns zu verſichern: ſie hält das Eigenthum, das für alle Ewigkeit niet- und na¬ gelfeſt zu bannende Eigenthum, als den einzig würdigen Gegenſtand menſchlich thätiger Vorausſicht feſt, und ſucht daher nach Möglichkeit das ſelbſtſtändige Lebensgebahren der Zukunft zu beſchränken, den ſelbſtgeſtaltenden Lebenstrieb ihr, als böſen, aufregenden Stachel, thunlichſt ganz aus¬
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Vorſtellung hinwegbleiben, weil ſie nur nach willkürlichen
Annahmen als Bilder unſerer Phantaſie ſich darſtellen
könnten und ihrem Weſen nach doch nur gerade dem heuti¬
gen Zuſtande entnommen ſein, immer nur wie ſie den Ge¬
gebenheiten der Gegenwart entſprungen, ſich uns darbieten
dürften. Nur das Vollbrachte und Fertige können wir
wiſſen; die lebenvolle Geſtaltung der Zukunft kann un¬
beſtritten eben nur das Werk des Lebens ſelbſt ſein! Iſt
ſie vollbracht, ſo werden wir mit einem Blicke klar be¬
begreifen, was heute wir nur nach Laune und Willkür un¬
ter dem unüberwindlichen Eindrucke der gegenwärtigen Ver¬
hältniſſe uns vorgaukeln könnten.
Nichts iſt verderblicher für das Glück der Menſchen
geweſen, als dieſer wahnſinnige Eifer, das Leben der Zu¬
kunft durch gegenwärtig gegebene Geſetze zu ordnen: Dieſe
widerliche Sorge für die Zukunft, die in Wahrheit nur
dem trübſinnigen abſoluten Egoismus zu eigen iſt, ſucht
im Grunde immer nur zu erhalten, das, was wir heute
gerade haben, für alle Lebenszeit uns zu verſichern: ſie
hält das Eigenthum, das für alle Ewigkeit niet- und na¬
gelfeſt zu bannende Eigenthum, als den einzig würdigen
Gegenſtand menſchlich thätiger Vorausſicht feſt, und ſucht
daher nach Möglichkeit das ſelbſtſtändige Lebensgebahren
der Zukunft zu beſchränken, den ſelbſtgeſtaltenden Lebenstrieb
ihr, als böſen, aufregenden Stachel, thunlichſt ganz aus¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/238>, abgerufen am 16.02.2025.
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