des Nothwendigen. Die Wissenschaft ist daher das Mittel der Erkenntniß, ihr Verfahren ein mittelbares, ihr Zweck ein vermittelnder; wogegen das Leben das Unmittelbare, sich selbst Bestimmende ist. Ist nun die Auflösung der Wissenschaft die Anerkennung des unmittelbaren, sich selbst bedingenden, also des wirklichen Lebens schlechtweg, so ge¬ winnt dieses Anerkenntniß seinen aufrichtigsten unmittel¬ baren Ausdruck in der Kunst, oder vielmehr im Kunst¬ werk.
Wohl verfährt der Künstler zunächst nicht unmittel¬ bar; sein Schaffen ist allerdings ein vermittelndes, auswäh¬ lendes, willkürliches: aber gerade da, wo er vermittelt und auswählt, ist das Werk seiner Thätigkeit noch nicht das Kunstwerk; sein Verfahren ist vielmehr das der Wissen¬ schaft, der suchenden, forschenden, daher willkürlichen und irrenden. Erst da, wo die Wahl getroffen ist, wo diese Wahl eine nothwendige war und das Nothwendige er¬ wählte, -- da also, wo der Künstler sich im Gegenstande selbst wieder gefunden hat, wie der vollkommene Mensch sich in der Natur wiederfindet, -- erst da tritt das Kunst¬ werk in das Leben, erst da ist es etwas Wirkliches, sich selbst Bestimmendes, Unmittelbares.
Das wirkliche Kunstwerk, d. h. das unmittelbar sinnlich dargestellte, in dem Momente seiner leiblichsten Erscheinung, ist daher auch erst die Er¬
des Nothwendigen. Die Wiſſenſchaft iſt daher das Mittel der Erkenntniß, ihr Verfahren ein mittelbares, ihr Zweck ein vermittelnder; wogegen das Leben das Unmittelbare, ſich ſelbſt Beſtimmende iſt. Iſt nun die Auflöſung der Wiſſenſchaft die Anerkennung des unmittelbaren, ſich ſelbſt bedingenden, alſo des wirklichen Lebens ſchlechtweg, ſo ge¬ winnt dieſes Anerkenntniß ſeinen aufrichtigſten unmittel¬ baren Ausdruck in der Kunſt, oder vielmehr im Kunſt¬ werk.
Wohl verfährt der Künſtler zunächſt nicht unmittel¬ bar; ſein Schaffen iſt allerdings ein vermittelndes, auswäh¬ lendes, willkürliches: aber gerade da, wo er vermittelt und auswählt, iſt das Werk ſeiner Thätigkeit noch nicht das Kunſtwerk; ſein Verfahren iſt vielmehr das der Wiſſen¬ ſchaft, der ſuchenden, forſchenden, daher willkürlichen und irrenden. Erſt da, wo die Wahl getroffen iſt, wo dieſe Wahl eine nothwendige war und das Nothwendige er¬ wählte, — da alſo, wo der Künſtler ſich im Gegenſtande ſelbſt wieder gefunden hat, wie der vollkommene Menſch ſich in der Natur wiederfindet, — erſt da tritt das Kunſt¬ werk in das Leben, erſt da iſt es etwas Wirkliches, ſich ſelbſt Beſtimmendes, Unmittelbares.
Das wirkliche Kunſtwerk, d. h. das unmittelbar ſinnlich dargeſtellte, in dem Momente ſeiner leiblichſten Erſcheinung, iſt daher auch erſt die Er¬
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des Nothwendigen. Die Wiſſenſchaft iſt daher das Mittel
der Erkenntniß, ihr Verfahren ein mittelbares, ihr Zweck
ein vermittelnder; wogegen das Leben das Unmittelbare,
ſich ſelbſt Beſtimmende iſt. Iſt nun die Auflöſung der
Wiſſenſchaft die Anerkennung des unmittelbaren, ſich ſelbſt
bedingenden, alſo des wirklichen Lebens ſchlechtweg, ſo ge¬
winnt dieſes Anerkenntniß ſeinen aufrichtigſten unmittel¬
baren Ausdruck in der Kunſt, oder vielmehr im Kunſt¬
werk.
Wohl verfährt der Künſtler zunächſt nicht unmittel¬
bar; ſein Schaffen iſt allerdings ein vermittelndes, auswäh¬
lendes, willkürliches: aber gerade da, wo er vermittelt und
auswählt, iſt das Werk ſeiner Thätigkeit noch nicht das
Kunſtwerk; ſein Verfahren iſt vielmehr das der Wiſſen¬
ſchaft, der ſuchenden, forſchenden, daher willkürlichen und
irrenden. Erſt da, wo die Wahl getroffen iſt, wo dieſe
Wahl eine nothwendige war und das Nothwendige er¬
wählte, — da alſo, wo der Künſtler ſich im Gegenſtande
ſelbſt wieder gefunden hat, wie der vollkommene Menſch
ſich in der Natur wiederfindet, — erſt da tritt das Kunſt¬
werk in das Leben, erſt da iſt es etwas Wirkliches, ſich
ſelbſt Beſtimmendes, Unmittelbares.
Das wirkliche Kunſtwerk, d. h. das unmittelbar
ſinnlich dargeſtellte, in dem Momente ſeiner
leiblichſten Erſcheinung, iſt daher auch erſt die Er¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/23>, abgerufen am 16.02.2025.
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