im Drama. Im Drama erweitert er sein besonderes Wesen durch Darstellung einer individuellen Persönlichkeit, die er nicht selbst ist, zum allgemein menschlichen Wesen. Er muß vollständig aus sich herausgehen, um eine ihm fremde Persönlichkeit nach ihrem eigenen Wesen so voll¬ ständig zu erfassen, als es nöthig ist um sie darstellen zu können; er gelangt hierzu nur, wenn er dieses eine In¬ dividuum in seiner Berührung, Durchdringung und Er¬ gänzung mit anderen und durch andere Individualitäten, also auch das Wesen dieser anderen Individualitäten selbst, so genau erforscht, so lebhaft wahrnimmt, daß es ihm möglich ist, diese Berührung, Durchdringung und Ergän¬ zung an seinem eigenen Wesen sympathetisch inne zu wer¬ den; und der vollkommene künstlerische Darsteller ist daher der zum Wesen der Gattung erweiterte einzelne Mensch nach der höchsten Fülle seines eigenen besonderen Wesens. Der Raum, in dem sich dieser wundervolle Prozeß bewerk¬ stelligt, ist aber die theatralische Bühne; das künst¬ lerische Gesammtwerk, welches er zu Tage fördert, das Drama. Um in diesem einen höchsten Kunstwerke sein besonderes Wesen zur höchsten Blüthe seines Inhaltes zu treiben, hat aber der einzelne Künstler, wie die einzelne Kunstart, jede willkürliche egoistische Neigung zu unzeitiger, dem Ganzen undienlicher, Ausbreitung in sich zurückzu¬ drängen, um desto kräftiger zur Erreichung der höchsten
im Drama. Im Drama erweitert er ſein beſonderes Weſen durch Darſtellung einer individuellen Perſönlichkeit, die er nicht ſelbſt iſt, zum allgemein menſchlichen Weſen. Er muß vollſtändig aus ſich herausgehen, um eine ihm fremde Perſönlichkeit nach ihrem eigenen Weſen ſo voll¬ ſtändig zu erfaſſen, als es nöthig iſt um ſie darſtellen zu können; er gelangt hierzu nur, wenn er dieſes eine In¬ dividuum in ſeiner Berührung, Durchdringung und Er¬ gänzung mit anderen und durch andere Individualitäten, alſo auch das Weſen dieſer anderen Individualitäten ſelbſt, ſo genau erforſcht, ſo lebhaft wahrnimmt, daß es ihm möglich iſt, dieſe Berührung, Durchdringung und Ergän¬ zung an ſeinem eigenen Weſen ſympathetiſch inne zu wer¬ den; und der vollkommene künſtleriſche Darſteller iſt daher der zum Weſen der Gattung erweiterte einzelne Menſch nach der höchſten Fülle ſeines eigenen beſonderen Weſens. Der Raum, in dem ſich dieſer wundervolle Prozeß bewerk¬ ſtelligt, iſt aber die theatraliſche Bühne; das künſt¬ leriſche Geſammtwerk, welches er zu Tage fördert, das Drama. Um in dieſem einen höchſten Kunſtwerke ſein beſonderes Weſen zur höchſten Blüthe ſeines Inhaltes zu treiben, hat aber der einzelne Künſtler, wie die einzelne Kunſtart, jede willkürliche egoiſtiſche Neigung zu unzeitiger, dem Ganzen undienlicher, Ausbreitung in ſich zurückzu¬ drängen, um deſto kräftiger zur Erreichung der höchſten
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im Drama. Im Drama erweitert er ſein beſonderes
Weſen durch Darſtellung einer individuellen Perſönlichkeit,
die er nicht ſelbſt iſt, zum allgemein menſchlichen Weſen.
Er muß vollſtändig aus ſich herausgehen, um eine ihm
fremde Perſönlichkeit nach ihrem eigenen Weſen ſo voll¬
ſtändig zu erfaſſen, als es nöthig iſt um ſie darſtellen zu
können; er gelangt hierzu nur, wenn er dieſes eine In¬
dividuum in ſeiner Berührung, Durchdringung und Er¬
gänzung mit anderen und durch andere Individualitäten,
alſo auch das Weſen dieſer anderen Individualitäten ſelbſt,
ſo genau erforſcht, ſo lebhaft wahrnimmt, daß es ihm
möglich iſt, dieſe Berührung, Durchdringung und Ergän¬
zung an ſeinem eigenen Weſen ſympathetiſch inne zu wer¬
den; und der vollkommene künſtleriſche Darſteller iſt daher
der zum Weſen der Gattung erweiterte einzelne Menſch
nach der höchſten Fülle ſeines eigenen beſonderen Weſens.
Der Raum, in dem ſich dieſer wundervolle Prozeß bewerk¬
ſtelligt, iſt aber die theatraliſche Bühne; das künſt¬
leriſche Geſammtwerk, welches er zu Tage fördert, das
Drama. Um in dieſem einen höchſten Kunſtwerke ſein
beſonderes Weſen zur höchſten Blüthe ſeines Inhaltes zu
treiben, hat aber der einzelne Künſtler, wie die einzelne
Kunſtart, jede willkürliche egoiſtiſche Neigung zu unzeitiger,
dem Ganzen undienlicher, Ausbreitung in ſich zurückzu¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/218>, abgerufen am 22.07.2024.
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