Betrachten wir die Stellung der modernen Kunst -- soweit sie in Wahrheit Kunst ist -- zum öffentlichen Leben, so erkennen wir zunächst ihre vollständige Unfähig¬ keit, auf dieses öffentliche Leben im Sinne ihres edelsten Strebens einzuwirken. Der Grund hiervon ist, daß sie als bloßes Kulturprodukt, aus dem Leben nicht wirklich selbst hervorgegangen ist und nun, als Treibhaus¬ pflanze, unmöglich in dem natürlichen Boden und in dem natürlichen Klima der Gegenwart Wurzel zu schlagen vermag. Die Kunst ist das Sondereigenthum einer Künstlerklasse geworden; Genuß bietet sie nur denen, die sie verstehen, und zu ihrem Verständniß erfordert sie ein besonderes, dem wirklichen Leben abgelegenes Studium, das Studium der Kunstgelehrsamkeit. Dieß Stu¬ dium und das aus ihm zu erlangende Verständniß glaubt zwar heut zu Tage sich Jeder zu eigen gemacht zu haben, der sich das Geld zu eigen gemacht hat, mit dem er die ausgebotenen Kunstgenüsse bezahlt: ob die große Zahl vor¬ handener Kunstliebhaber den Künstler in seinem besten Streben aber zu verstehen vermögen, wird dieser Künstler, bei Befragen jedoch nur mit einem tiefen Seufzer zu beant¬
IV. Grundzüge des Kunſtwerkes der Zukunft.
Betrachten wir die Stellung der modernen Kunſt — ſoweit ſie in Wahrheit Kunſt iſt — zum öffentlichen Leben, ſo erkennen wir zunächſt ihre vollſtändige Unfähig¬ keit, auf dieſes öffentliche Leben im Sinne ihres edelſten Strebens einzuwirken. Der Grund hiervon iſt, daß ſie als bloßes Kulturprodukt, aus dem Leben nicht wirklich ſelbſt hervorgegangen iſt und nun, als Treibhaus¬ pflanze, unmöglich in dem natürlichen Boden und in dem natürlichen Klima der Gegenwart Wurzel zu ſchlagen vermag. Die Kunſt iſt das Sondereigenthum einer Künſtlerklaſſe geworden; Genuß bietet ſie nur denen, die ſie verſtehen, und zu ihrem Verſtändniß erfordert ſie ein beſonderes, dem wirklichen Leben abgelegenes Studium, das Studium der Kunſtgelehrſamkeit. Dieß Stu¬ dium und das aus ihm zu erlangende Verſtändniß glaubt zwar heut zu Tage ſich Jeder zu eigen gemacht zu haben, der ſich das Geld zu eigen gemacht hat, mit dem er die ausgebotenen Kunſtgenüſſe bezahlt: ob die große Zahl vor¬ handener Kunſtliebhaber den Künſtler in ſeinem beſten Streben aber zu verſtehen vermögen, wird dieſer Künſtler, bei Befragen jedoch nur mit einem tiefen Seufzer zu beant¬
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IV.
Grundzüge des Kunſtwerkes der Zukunft.
Betrachten wir die Stellung der modernen Kunſt —
ſoweit ſie in Wahrheit Kunſt iſt — zum öffentlichen
Leben, ſo erkennen wir zunächſt ihre vollſtändige Unfähig¬
keit, auf dieſes öffentliche Leben im Sinne ihres
edelſten Strebens einzuwirken. Der Grund hiervon iſt,
daß ſie als bloßes Kulturprodukt, aus dem Leben nicht
wirklich ſelbſt hervorgegangen iſt und nun, als Treibhaus¬
pflanze, unmöglich in dem natürlichen Boden und in dem
natürlichen Klima der Gegenwart Wurzel zu ſchlagen
vermag. Die Kunſt iſt das Sondereigenthum einer
Künſtlerklaſſe geworden; Genuß bietet ſie nur denen, die
ſie verſtehen, und zu ihrem Verſtändniß erfordert ſie ein
beſonderes, dem wirklichen Leben abgelegenes Studium,
das Studium der Kunſtgelehrſamkeit. Dieß Stu¬
dium und das aus ihm zu erlangende Verſtändniß glaubt
zwar heut zu Tage ſich Jeder zu eigen gemacht zu haben,
der ſich das Geld zu eigen gemacht hat, mit dem er die
ausgebotenen Kunſtgenüſſe bezahlt: ob die große Zahl vor¬
handener Kunſtliebhaber den Künſtler in ſeinem beſten
Streben aber zu verſtehen vermögen, wird dieſer Künſtler,
bei Befragen jedoch nur mit einem tiefen Seufzer zu beant¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/199>, abgerufen am 03.03.2025.
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