um ihren egoistischen Mittelpunkt immer nur gruppirt hatte, schrumpfte in der Fülle der Umgebung ganz in dem Grade immer mehr zusammen, als im wirklichen Leben er sich immer mehr unter das unwürdige Joch der ent¬ stellenden Mode beugte, so daß er endlich in der Landschaft die Rolle zuertheilt bekam, die zuvor der Landschaft im Verhältniß zu ihm zugewiesen war. Wir können unter den gegebenen Umständen diesen Fortschritt der Land¬ schaft nur als einen Sieg der Natur über die schlechte, menschenentwürdigende Kultur feiern; denn in ihm behauptete sich auf die einzig mögliche Weise die unent¬ stellte Natur gegen ihre Feindin, indem sie, gleichsam Schutz suchend, wie aus Noth dem innigen Verständnisse des künstlerischen Menschen sich erschloß.
Die moderne Naturwissenschaft und die Land¬ schaftsmalerei sind die Erfolge der Gegenwart, die uns in wissenschaftlicher wie künstlerischer Hinsicht einzig Trost und Rettung aus Wahnsinn und Unfähigkeit bieten. Mag, bei der trostlosen Zersplitterung aller unserer künst¬ lerischen Richtungen, das einzelne Genie, das ihnen zur momentanen, fast gewaltsamen Vereinigung dient, um so Erstaunenswürdigeres leisten kann, als weder das Be¬ dürfniß noch die Bedingungen zu seinem Kunstwerke vor¬ handen sind: das gemeinsame Genie der Malerkunst ergießt sich doch einzig fast nur in der Richtung der Landschafts¬
um ihren egoiſtiſchen Mittelpunkt immer nur gruppirt hatte, ſchrumpfte in der Fülle der Umgebung ganz in dem Grade immer mehr zuſammen, als im wirklichen Leben er ſich immer mehr unter das unwürdige Joch der ent¬ ſtellenden Mode beugte, ſo daß er endlich in der Landſchaft die Rolle zuertheilt bekam, die zuvor der Landſchaft im Verhältniß zu ihm zugewieſen war. Wir können unter den gegebenen Umſtänden dieſen Fortſchritt der Land¬ ſchaft nur als einen Sieg der Natur über die ſchlechte, menſchenentwürdigende Kultur feiern; denn in ihm behauptete ſich auf die einzig mögliche Weiſe die unent¬ ſtellte Natur gegen ihre Feindin, indem ſie, gleichſam Schutz ſuchend, wie aus Noth dem innigen Verſtändniſſe des künſtleriſchen Menſchen ſich erſchloß.
Die moderne Naturwiſſenſchaft und die Land¬ ſchaftsmalerei ſind die Erfolge der Gegenwart, die uns in wiſſenſchaftlicher wie künſtleriſcher Hinſicht einzig Troſt und Rettung aus Wahnſinn und Unfähigkeit bieten. Mag, bei der troſtloſen Zerſplitterung aller unſerer künſt¬ leriſchen Richtungen, das einzelne Genie, das ihnen zur momentanen, faſt gewaltſamen Vereinigung dient, um ſo Erſtaunenswürdigeres leiſten kann, als weder das Be¬ dürfniß noch die Bedingungen zu ſeinem Kunſtwerke vor¬ handen ſind: das gemeinſame Genie der Malerkunſt ergießt ſich doch einzig faſt nur in der Richtung der Landſchafts¬
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um ihren egoiſtiſchen Mittelpunkt immer nur gruppirt
hatte, ſchrumpfte in der Fülle der Umgebung ganz in dem
Grade immer mehr zuſammen, als im wirklichen Leben
er ſich immer mehr unter das unwürdige Joch der ent¬
ſtellenden Mode beugte, ſo daß er endlich in der Landſchaft
die Rolle zuertheilt bekam, die zuvor der Landſchaft im
Verhältniß zu ihm zugewieſen war. Wir können unter
den gegebenen Umſtänden dieſen Fortſchritt der Land¬
ſchaft nur als einen Sieg der Natur über die ſchlechte,
menſchenentwürdigende Kultur feiern; denn in ihm
behauptete ſich auf die einzig mögliche Weiſe die unent¬
ſtellte Natur gegen ihre Feindin, indem ſie, gleichſam
Schutz ſuchend, wie aus Noth dem innigen Verſtändniſſe
des künſtleriſchen Menſchen ſich erſchloß.
Die moderne Naturwiſſenſchaft und die Land¬
ſchaftsmalerei ſind die Erfolge der Gegenwart, die uns
in wiſſenſchaftlicher wie künſtleriſcher Hinſicht einzig Troſt
und Rettung aus Wahnſinn und Unfähigkeit bieten.
Mag, bei der troſtloſen Zerſplitterung aller unſerer künſt¬
leriſchen Richtungen, das einzelne Genie, das ihnen
zur momentanen, faſt gewaltſamen Vereinigung dient, um
ſo Erſtaunenswürdigeres leiſten kann, als weder das Be¬
dürfniß noch die Bedingungen zu ſeinem Kunſtwerke vor¬
handen ſind: das gemeinſame Genie der Malerkunſt ergießt
ſich doch einzig faſt nur in der Richtung der Landſchafts¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/196>, abgerufen am 22.07.2024.
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